Germania: Roman (German Edition)
irgendetwas zu unterstellen. Aber ich muss herausfinden, was geschehen ist. Da kann jedes noch so kleine Detail von Bedeutung sein.«
Oppenheimer spürte, dass Fräulein Behringer ihm etwas verheimlichte. Schließlich entschloss er sich zu einem Frontalangriff.
»Wo befindet sich das Kind?«
»Was meinen Sie?«, fragte sie erschrocken.
Als Antwort holte er die Photographie von Inge Friedrichsen mit dem Säugling hervor.
Bei diesem Anblick schlug Fräulein Behringer die Hände vor ihr Gesicht und begann zu schluchzen. »Ich – weiß – es – nicht«, drang zwischen ihren Fingern hervor. »Sie wollte es mir nicht sagen. Sie meinte nur, dass es ihm gutgeht.«
Der kritische Moment war erreicht. Oppenheimer spürte, dass Fräulein Behringer nun alles erzählen würde. »Fangen wir am besten noch mal von vorn an«, schlug er mit ruhiger Stimme vor.
Jeder hatte schon einmal Gerüchte über das Zuchtprogramm der Nazis gehört. Die dafür zuständige Organisation nannte sich Lebensborn e.V. und unterstand niemand Geringerem als Heinrich Himmler, was darauf schließen ließ, dass das Projekt im Parteiapparat hohe Priorität genoss. Dem Verein gehörten eine Handvoll Häuser, die jenseits der Großstädte überall im Land verteilt waren. Was in der Abgeschiedenheit hinter diesen dicken Mauern Nacht für Nacht im Glauben an den Führer und im Willen zum ewigen Leben des arischen Blutes vor sich ging, wusste niemand so genau.
Das erklärte Ziel des Lebensborn war es, die arische Rasse zu stärken und Kinder mit möglichst reinem Blut zu produzieren. Da öffentliche Mitteilungen zu diesem Projekt jedoch selten waren, kursierten eine Unmenge an Gerüchten und Vermutungen über die Art und Weise, wie dies geschah. Schon lange munkelte man über einen Befehl Himmlers an die SS und Polizei, mit deutschen Frauen guten Blutes Kinder zu produzieren. Im Zweifelsfall sollte dies auch ohne Rücksicht auf Sitte und Moral geschehen, denn der Zweck heiligte seiner Meinung nach die Mittel. Die meisten verbanden mit dem Begriff Lebensborn eine Art von Edelbordell, in denen mit Hitlers Segen regelrechte Sexgelage gefeiert wurden. Laut den Gerüchten sollten dort Zuchtbullen der SS blutjunge Mädchen mit blonden Zöpfen bespringen, um den Traum von der Überlegenheit der nordischen Rasse wahr werden zu lassen.
Auch in Oppenheimers Kopf flackerten diese Bilder auf, als Fräulein Behringer zum ersten Mal den Lebensborn erwähnte. Für einige Sekunden fiel es ihm schwer, das Photo der strahlenden Inge Friedrichsen mit seiner Vorstellung von hemmungslosen NS-Orgien in Einklang zu bringen.
»Sie sagten Lebensborn? «, fragte Oppenheimer, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht verhört hatte.
»Ja, draußen in Klosterheide haben sie ein Heim. Inge war Sekretärin dort.«
»Und was war ihre – Aufgabe?«, fragte Oppenheimer zögernd.
»Nicht das, was Sie jetzt denken.« Fräulein Behringer verdrehte die Augen. »Sie hat den Papierkram gemacht. Urkunden, Formulare, so was in der Art.«
»Und was hat das mit dem Kind zu tun?«
»Ursprünglich ist Inge zum Lebensborn gekommen, als sie mit Horst schwanger war.«
»Ihr Sohn heißt Horst?«
»Ja, richtig. Sie erwartete das Kind und war nicht verheiratet. Da blieb ihr nicht viel anderes übrig, als zum Lebensborn zu gehen. Dort konnte sie ihren Sohn zur Welt bringen, ohne dass jemand etwas davon erfuhr. Sie kam zuerst ins Haus Friesland irgendwo bei Bremen. Sie hatte keine Arbeit und wollte auch nicht zurück zu ihren Eltern, die durften nämlich nichts von Horst wissen. Na ja, da hat sie sich eben beim Lebensborn-Verein erkundigt, ob es vielleicht eine Stelle für sie gäbe.«
»Und sie wurde daraufhin vom Lebensborn als Sekretärin angestellt?«
»Ja, sie kam dann direkt nach Klosterheide. Dort gibt es im Haus auch einen Kinderhort. So konnte sie mit ihrem Sohn zusammen sein. Doch mit der Zeit wurde ihr die Arbeit wohl zu eintönig, ich weiß es nicht. Kann auch sein, dass sie dort nicht mehr arbeiten wollte, weil der Lebensborn so einen schlechten Ruf hat. Vielleicht hat es sie einfach nur in die Stadt gezogen. Jedenfalls hat sie sich dann hier in Berlin etwas gesucht, und Horst wurde im Lebensborn-Heim untergebracht. So kam sie in unsere Firma.«
»Hat sie jemals von dem Vater ihres Kindes erzählt? Kennen Sie seinen Namen?«
»Ich weiß nur so viel, dass er aus ihrem Dorf kam.«
»Der Verlobte an der Front, von dem Sie sprachen?«
»Ja.« Plötzlich blickte Fräulein
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