Germania: Roman (German Edition)
weitere Gewölbe, die die Decke der Hotellobby bildeten.
Das Adlon war viel mehr als nur ein Hotel. Schon allein der Name genügte, um einen Hauch von Exklusivität zu verbreiten. Es lag in der Dorotheenstadt an der Straße Unter den Linden, nur einen Steinwurf vom Brandenburger Tor entfernt. Eine Lage, die noch repräsentativer war, ließ sich für ein Hotel wohl kaum finden. Das Adlon hatte bereits eine illustre Schar von Gästen beherbergt. Der Zar von Russland war hier ein und aus gegangen, John D. Rockefeller, Charlie Chaplin und Familien des Hochadels hatten hier ebenso residiert wie Kaiser Wilhelm II. Verglichen mit den neuen Prunkbauten der nationalsozialistischen Herrscher war die Fassade des Adlon angenehm dezent gestaltet. Das Gebäude versuchte nicht, zu protzen oder gar den Pariser Platz zu dominieren, sondern fügte sich mit seinen klaren Linien harmonisch in die Umgebung ein. Im Inneren herrschte jedoch größter Luxus und Komfort. Neben Zimmern und Suiten bot es unter anderem einen Wintergarten, einen Musiksalon, eine Bibliothek, einen Ballsaal, mehrere Konferenzräume, einen Rauchersalon und sogar einen separaten Damensalon. Teppiche lagen auf den glänzenden Marmorböden, exotische Palmengewächse standen in den Nischen, Kassettendecken spannten sich über die zahlreichen Bogendurchgänge.
In seiner Funktion als Kommissar hatte Oppenheimer in der Vergangenheit auch gelegentlich das Adlon besucht. Doch so richtig wohl hatte er sich in diesem Umfeld nicht gefühlt. Die Exklusivität des Hotels hatte ihm einen derartigen Respekt eingeflößt, dass er ständig befürchtete, sich zu blamieren. Deshalb war Oppenheimer stets damit beschäftigt gewesen, sich selbst zu beobachten, und war sich dabei schmerzlich bewusst, dass er wohl wie ein einfältiges Landei wirkte, das sich zum ersten Mal in die große Stadt verirrt hatte und die fremden Sinnesreize nur ungläubig bestaunen konnte.
Doch heute war alles anders. Oppenheimer schritt großspurig durch die große Empfangshalle, als würde ihm der Laden höchstpersönlich gehören. Ihm war klar, dass sein Selbstbewusstsein der Wirkung des Pervitins geschuldet war. Trotz seiner abgerissenen Kleidung hatte er keine Hemmungen, sich unter die noblen Gäste zu mischen. Oppenheimer schritt drei Stufen der breiten Marmortreppe empor und lehnte sich lässig an das Geländer, um das geschäftige Treiben von der erhöhten Warte aus zu betrachten. Er beobachtete Parteisoldaten in Ausgehuniform mit knarzenden Lederstiefeln und Lametta auf der Brust, dessen Sinn nur darin zu bestehen schien, bei jeder Bewegung zu klimpern; Männer mit Aktenkoffern, dicken Zigarren und Specknacken; geschminkte Damen, von denen einige gewagte Hosenanzüge trugen, während andere sich schon am Nachmittag in eleganten Abendkleidern präsentierten; Diplomaten und Soldaten auf Fronturlaub. Dazwischen liefen die Pagen in ihrer blauen Uniform umher; gelegentlich erblickte Oppenheimer sogar ein Gesicht, das er einmal auf einem Filmplakat gesehen zu haben glaubte. Es war wohl ein Zufall, dass der Mann, der gerade zur Treppe eilte, ihm seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Sein sorgenvoller Blick blieb kurz an Oppenheimer hängen, ganz so, als ob er ihn wiedererkennen würde. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, wandte er sich wieder ab und erklomm die Treppenstufen.
Oppenheimers Miene wurde grimmig. Er hatte die Gesichtszüge nur allzu gut erkannt, die kurzgeschnittenen, grauen Haare, die buschigen Augenbrauen und die markante Nase. Es war sein alter Rivale Arthur Nebe, der an ihm vorbeigerauscht war. Sie hatten beide fast zur gleichen Zeit bei der Polizeiverwaltung angefangen und waren die Karriereleiter emporgeklettert. Zumindest als Kriminalkommissar-Anwärter hatte Oppenheimer noch die Nase vorn gehabt. Während er sich unter den besten Absolventen befand, schaffte Nebe das Examen zum Kriminalkommissar erst im zweiten Anlauf. Trotz aller Missgunst musste Oppenheimer jedoch eingestehen, dass Nebe Talent hatte und sehr großen Einsatz zeigte. Als er gerade mal knapp über dreißig Jahre alt war, wurde Nebe bereits die Leitung des Rauschgiftdezernats übertragen. Kurz darauf hatte der alte Gennat sowohl Oppenheimer als auch Nebe in der neugeschaffenen Kriminalinspektion A zu Mordkommissaren befördert. In dieser Situation wurden sie zu direkten Konkurrenten und versuchten, den Lehrmeister Gennat mit ihren Taten zu beeindrucken, immer darauf bedacht, den anderen zu übertrumpfen. Doch es waren
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