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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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nicht ausschließlich Nebes Fähigkeiten als Kriminalist, die ihm den Aufstieg ebneten, vielmehr half ihm, dass er im Gegensatz zu Oppenheimer die Politik als Sprungbrett nutzte. Schon in den frühen Zwanzigern hatte er auf eigene Faust die sogenannte Deutschnationale Jugendgruppe Prenzlauer Berg gegründet. Kurz darauf schloss er sich mit einigen gleichgesinnten Polizeibeamten zu einer völkischen Gruppe zusammen, die gegen Juden und Freimaurer in ihren eigenen Reihen agitierte. Während Oppenheimer damit zufrieden war, zu einer Koryphäe des Berliner Mordkommissariats zu werden, hatte Nebe demonstriert, dass er deutlich ambitionierter war. 1931 trat er als förderndes Mitglied in die SS ein. Kurz darauf wurde er Parteimitglied von Hitlers NSDAP und trat wenig später auch noch der SA bei, wohl um ganz sicherzugehen. Obgleich die damalige Führung der Berliner Polizei es nicht gern sah, dass ein Kriminalrat seine Gesinnung derartig offensiv propagierte, war bald offensichtlich, dass Nebe den richtigen Riecher gehabt hatte. Er wurde für Görings Geheimes Staatspolizeiamt angeheuert und über diesen Umweg schließlich Reichskriminaldirektor und damit Chef der gesamten deutschen Kriminalpolizei.
    Bei dem unverhofften Anblick von Arthur Nebe fühlte Oppenheimer wieder seinen längst vergessenen Neid gegenüber dem Konkurrenten in sich aufsteigen. Er hatte nie so richtig gewusst, wie er ihn einschätzen sollte. Oppenheimer konnte nicht sagen, ob Nebe wirklich ein Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie war oder sie nur als Vehikel für seinen Aufstieg nutzte. Letztendlich war dies jedoch irrelevant. Als Jude musste Oppenheimer täglich ums Überleben kämpfen, während Nebe zu einem Goldfasan avanciert war.
    Vogler humpelte Oppenheimer aus der Richtung der Rezeption entgegen. »Wir sind angemeldet. Er wohnt im ersten Stock.« Er musterte Oppenheimer. »Was ist mit Ihnen?«
    »Ich habe einen alten Bekannten getroffen«, erklärte dieser kurz angebunden.
    Vogler schien ehrlich überrascht. »Hier? Im Adlon?«
    Oppenheimer zuckte mit den Schultern. »Man kann sich leider nicht aussuchen, wem man über den Weg läuft.«

    »Jetzt, wo es den Kaiserhof nicht mehr gibt, ist das hier der beste Platz in ganz Berlin«, sagte Reithermann. Sein Gesicht strahlte vor Selbstgefälligkeit. »Das Personal, die Verpflegung, alles tipptopp. Und erst der Tiefbunker im Keller. Nicht weniger als neun Meter Stahlbeton. Bombensicher. Da können die Tommys sonst was auf uns schmeißen.«
    Reithermann saß auf einem Sofa, da er in einen der filigranen Sessel eher nicht hineingepasst hätte. Er trug seine Uniform, und die war angesichts seines beträchtlichen Umfangs wohl kaum von der Stange. Oppenheimer überlegte, ob er denselben Schneider wie Göring hatte. Dennoch schien Reithermann seine Kluft immer noch zu eng zu sein. Er hatte die unteren Knöpfe der Jacke geöffnet, so dass das Hemd herausquoll.
    Reithermann war einer der sogenannten alten Kämpfer. Hitler hatte ihm sogar den Blutorden verliehen, die höchste Auszeichnung der NSDAP. Der Anlass für diese Ehrung war eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, zu der man ihn verurteilt hatte. Es war in der Zeit der Straßenkämpfe gewesen, Anfang der zwanziger Jahre, als sich Nationalsozialisten und auch Kommunisten wie Straßenbanden zusammenrotteten, um einander die Köpfe einzuschlagen. Reithermann war als Beihelfer an einem Mord beteiligt gewesen. Das Opfer war ein Parteigenosse, von dem sich herausgestellt hatte, dass er in Wirklichkeit Kommunist war und die Pläne der SA-Ortsgruppe verraten hatte.
    Nach seiner Haft war Reithermann von der SA zur SS gewechselt und arbeitete dort in der Administration. Es war ein guter Posten, ein Geschenk für seine Leistungen in der Vergangenheit. Mittlerweile trieb er nebenbei regen Handel mit der Beute aus den besetzten Gebieten, insbesondere Kunstgegenstände galten als seine Spezialität, ein Treiben, das die Partei geflissentlich ignorierte.
    Alle diese Informationen hatte Oppenheimer von Vogler bekommen, streng vertraulich natürlich. Als er Reithermann betrachtete, glaubte er zu wissen, warum dieser so viele Konservenbüchsen in seinem Keller gehortet hatte. Allem Anschein nach war der Gruppenführer darauf aus, sich zu Tode zu mästen, da er unablässig irgendetwas kaute. Oppenheimer war sprachlos angesichts dieser Völlerei. Die latente Aggression, die Oppenheimer ohnehin nach der Begegnung mit Arthur Nebe in sich verspürt hatte, wurde

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