Germania: Roman (German Edition)
ich die alle umgebracht habe? Ausgerechnet ich? Wer hat denn dafür gesorgt, dass diese Morde untersucht werden?«
»Warten Sie draußen!«, befahl Vogler.
Als Oppenheimer den Salon verließ, hörte er noch, wie Reithermann hinter ihm herbrüllte: »Ich verspreche Ihnen, Oppenheimer, wenn ich mit Ihnen fertig bin, dann sind Sie so klein – so klein, mit Hut!«
In Voglers Daimler pulsierte das Licht. Der ständige Lichtwechsel verlieh ihrer Fahrt einen eigenartigen Rhythmus. Die Schattenbereiche, die sie durchfuhren, waren das Resultat der Tarnnetze, die man an langen Holzstangen quer über die Charlottenburger Chaussee gespannt hatte. Überall entlang der Ost-West-Achse wucherten diese Konstrukte. Der strategische Nutzen war einfach zu erklären. Ohne aufgespannte Netze konnten sich feindliche Flugzeuge mühelos an der breiten Straße orientieren, die direkt auf Berlins Zentrum zuführte.
Dass Vogler noch nicht gesprochen hatte, seit er aus Reithermanns Suite gekommen war, beunruhigte Oppenheimer. Er wusste nicht, wie er das Schweigen zu deuten hatte. War Vogler von ihm enttäuscht? Wollte er ihn jetzt gar von der Untersuchung ausschließen? Oppenheimer überlegte, ob er vielleicht unter dem Einfluss des Pervitins zu unbesonnen reagiert hatte. Schließlich versuchte er zaghaft, sich zu rechtfertigen. »Die Frage nach dem Alibi hätte ich wirklich jedem gestellt.«
»Sie versuchen wohl, uns völlig in die Scheiße zu reiten?«, zischte Vogler. »Reithermann ist nicht irgendwer. Man sollte sich ihn nicht zum Feind machen, egal, was man von ihm hält. Er kann wirklich gefährlich werden.«
»In den Untersuchungsakten gab es keine Angaben darüber, also habe ich nachgefragt.«
Vogler lachte kurz auf. »Stimmt. Eigentlich ganz einfach. Ein Glück, dass ich dabei war. Ich hatte schon befürchtet, dass Sie Reithermann wie jeden anderen Verdächtigen behandeln.«
Er beugte sich zum Fahrer vor. »Sie können dann gleich beim Stern halten. Herr Oppenheimer steigt dort aus.«
Vogler ließ sich in den Sitz zurückfallen und blickte aus dem Fenster. »Eigentlich sollte ich mich nicht beklagen. Genau deswegen habe ich Sie ja angeheuert.«
»Damit ich jemanden wie Reithermann durchleuchte?«
»Sie können das machen. Sie sind unvoreingenommen. Sie können Fragen stellen, die sich kein Nationalsozialist trauen würde auch nur anzudeuten. Nur auf diese Weise ist es sinnvoll, eine Untersuchung führen.«
Hoffmann hielt am Schlosspark von Bellevue, doch Vogler war noch nicht fertig. »Ich habe Reithermann wieder beruhigen können. Wenn er erst mal Dampf abgelassen hat, ist er Argumenten gegenüber durchaus aufgeschlossen. Ich habe gesagt, dass Sie nur den Aufenthaltsort von Fräulein Dufour klären wollten, um die Gemeinsamkeiten mit den anderen Opfern zu finden. Er hat das geschluckt. Sie sind nach wie vor bei der Untersuchung mit dabei, Oppenheimer. Ich erwarte Sie morgen früh. Wie immer.«
Am nächsten Tag stand in Oppenheimers improvisiertem Büro eine Pinnwand. »Für die Zettel«, kommentierte Vogler die Neuanschaffung. »Das dürfte praktischer sein. Außerdem sieht es ordentlicher aus, falls mal jemand kommen sollte.« Oppenheimer musste ihm zustimmen. Das ursprünglich so gediegene Wohnzimmer machte mittlerweile einen chaotischen Eindruck. Auf dem Tisch, dem Sofa, ja sogar auf dem Boden lagen Schriftstücke und aufgeschlagene Akten herum. Dazu kam die Zimmerwand, die, ursprünglich für das Porträt des Führers reserviert, jetzt von weißen Papierzetteln bedeckt war. Jedes Mal, wenn Oppenheimer an ihnen vorbeiging, raschelten sie leise.
Natürlich hatte Vogler keine Ahnung, dass Oppenheimer immer so gearbeitet hatte und dass es ihm bei der Arbeit half, sich im Raum auszubreiten, doch er beschloss, guten Willen zu zeigen und das Schaubild auf die Pinnwand zu übertragen.
Er zögerte, als er schließlich das Papier mit dem Namen von Reithermann auf die Tafel heften wollte. Eigentlich kam er für die Tat nicht in Frage, denn für den Zeitpunkt, zu dem seine Begleiterin verschwunden war, konnte er ein wasserdichtes Alibi vorweisen. Der Oberkellner erinnerte sich, wie Reithermann unmittelbar nach dem Alarm zwei Flaschen Wein bei ihm bestellt hatte und an seinem Tisch wartete, bis sie ihm gebracht wurden. Danach gaben mehrere Zeugen an, ihn im Bunker unter dem Pariser Platz gesehen zu haben, der direkt vom Hotel aus zugänglich war. Dennoch hatte Oppenheimer das unbestimmte Gefühl, dass Reithermann in die Morde
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