Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
recht, daß ich zur Tat dränge? . . . Es ist doch das Beste, daß wir uns an diesen Bund anlehnen, nicht?«
    Suwarin blies ein Rauchwölkchen in die Luft, dann antwortete er mit seinem Lieblingsworte:
    »Das sind Dummheiten; aber vorläufig ist es gut so... Übrigens wird deine Internationale sich bald rühren. Er beschäftigt sich damit.«
    »Wer?«
    »Er!«
    Er hatte dieses Wort halblaut ausgesprochen, mit der Miene inbrünstigen Eifers, und dabei seinen Blick nach dem Osten gerichtet. Er sprach vom Meister, von
Bakunin
, dem Vertilger.
    >>Er allein vermag den Keulenschlag zu führen,« setzte er hinzu, »während deine Gelehrten mit ihrer Evolution nichts als Feiglinge sind... Ehe drei Jahre vergehen, wird die Internationale unter seinen Befehlen die alte Welt zertrümmern.«
    Etienne spitzte aufmerksam die Ohren. Er brannte vor Wißbegierde, diesen Kultus des Umsturzes zu verstehen, über den der Maschinist nur wenige, unklare Worte fallen ließ, als wolle er seine Geheimnisse für sich behalten.
    »Aber erkläre mir doch endlich, was ist euer Ziel?«
    »Alles zerstören... Keine Nationen, keine Regierungen, kein Eigentum, keinen Gott und keinen Kultus.«
    »Ich verstehe. Aber wohin führt euch das?«
    »Zur anfänglichen formlosen Gemeinschaft, zu einer neuen Welt, zu einem neuen Beginn von allem.«
    »Und die Mittel der Durchführung? Wie wollt ihr die Sache anfassen?«
    »Mit dem Feuer, mit dem Gift, mit dem Dolch. Der Räuber ist der wahre Held, der Volksrächer, der Revolutionär der Tat, ohne aus den Büchern geholte Redensarten. Eine Reihe von furchtbaren Attentaten muß die Mächtigen erschrecken und die Völker erwecken.«
    Suwarin wurde furchtbar, wenn er so sprach. Die Begeisterung erhob ihn auf seinem Sessel, eine geheime Flamme sprühte aus seinen fahlen Augen, und seine feinen Hände preßten den Tischrand, daß er ihn fast zerbrach. Von Furcht ergriffen, betrachtete ihn der andere und dachte an die Geschichten, die ihm halb und halb anvertraut worden, an die Minen unter dem Palaste des Zaren, an die Polizeichefs, die niedergestochen wurden gleich Wildschweinen; an die Geliebte Suwarins, das einzige Weib, dem er zugetan gewesen, und das an einem regnerischen Morgen in Moskau gehängt wurde, während er, unter die Menge verloren, sie ein letztes Mal mit den Augen küßte.
    »Nein, nein,« murmelte Etienne mit einer Handbewegung, welche diese abscheulichen Bilder verscheuchte; »wir hierzulande sind noch nicht so weit. Mord und Brand, niemals! Das ist ungeheuerlich, das ist ungerecht; alle Kameraden würden sich erheben, um den Verbrecher zu erwürgen.«
    Übrigens begriff er noch immer nicht; seine Rache lehnte sich auf gegen diesen düsteren Traum von der Ausrottung der Welt, die hingemäht werden sollte wie ein Roggenfeld. Was werde man nachher anfangen, wie würden die Völker dann neu erstehen? Er forderte eine Antwort.
    »Sage mir dein Programm. Wir wollen wissen, wohin wir gehen.«
    Da schloß Suwarin ruhig, mit seinem traumverlorenen Blick:
    »Alle Betrachtungen über die Zukunft sind sträflich, denn sie behindern die vollständige Zerstörung und den Lauf der Revolution.«
    Darüber lachte Etienne trotz der Kälte, die ihm bei dieser Antwort über den Rücken lief. Er gestand übrigens gern, daß sie ihr Gutes hatten, diese Gedanken, deren erschreckende Einfachheit ihn lockte. Allein er begriff, daß er sein Spiel vollständig dem Rasseneur ausliefere, wenn er seinen Kameraden solche Geschichten erzählen wollte. Es galt, praktisch zu sein.
    Die Witwe Désir schlug ihnen vor zu frühstücken. Sie nahmen die Einladung an und gingen in die Gaststube, die an Wochentagen durch eine dünne Bretterwand von dem Tanzsaale geschieden war. Als sie ihren Eierkuchen und ihren Käse gegessen hatten, wollte der Maschinist gehen; als der andere ihn zurückhielt, sagte er:
    »Wozu denn? Um eure unnützen Dummheiten anzuhören? Ich habe genug davon. Gute Nacht.«
    Er ging mit seiner sanften, entschlossenen Miene, eine Zigarette im Munde.
    Etienne fühlte seine Unruhe wachsen. Es war ein Uhr, und es schien gewiß, daß Pluchart sein Wort nicht hielt. Gegen halb zwei Uhr begannen die Abgesandten zu erscheinen; er mußte sie empfangen, weil er bei der Türe achthaben wollte aus Furcht, daß die Gesellschaft ihre gewöhnlichen Kundschafter senden könne. Er besichtigte jede Einladung und musterte die Leute; viele durften übrigens ohne Einladungskarte eintreten, es genügte, daß er sie kannte, damit man ihnen

Weitere Kostenlose Bücher