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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Behagen; der Gedanke, daß man hier zu essen hatte, nagte ihr noch mehr an dem leeren Magen. Augenscheinlich hatten sie die Alte weggeschickt und die Kleine eingesperrt, um ungestört ihren Kaninchenbraten zu essen. Ach, man konnte sagen, was man wollte: eine Frau, die einen lasterhaften Lebenswandel führt, bringt ihrem Hause immer Glück.
    »Gute Nacht!« sagte sie plötzlich.
    Draußen hatte die Nacht sich herabgesenkt; der Mond war von Wolken bedeckt und warf nur einen fahlen Schein auf die Erde. Anstatt wieder durch die Gärten zu gehen, nahm Frau Maheu ihren Weg über die Straße; sie war in trostloser Stimmung und hatte nicht den Mut heimzukehren. Die Haustüren längs der Häuserzeile rochen förmlich nach der Hungersnot und klangen hohl. Was nützte es, da anzuklopfen? Not und Elend überall. Seit Wochen aß man nicht mehr; selbst der Zwiebelgeruch war verschwunden, dieser scharfe Geruch, der in der Landschaft schon von weitem das Dorf ankündigte. Jetzt gab es nur einen Geruch von alten Kellern, die Feuchtigkeit der Löcher, in denen kein Leben mehr ist. Die unbestimmten Geräusche verstummten: die erstickten Tränen, die verhallenden Flüche, und in der tiefen Stille, die sich immer mehr ausbreitete, hörte man den Schlaf des Hungers kommen, die Vernichtung der Leiber, die unter dem Alpdruck der leeren Bäuche quer über den Betten lagen.
    Als sie an der Kirche vorüberkam, sah sie einen Schatten rasch dahingleiten. Eine Hoffnung ließ sie die Schritte beschleunigen, denn sie hatte den Pfarrer von Montsou erkannt, den Abbé Joire, der am Sonntag in der Kapelle des Dorfes die Messe laß. Ohne Zweifel kam er aus der Sakristei, wo er etwas zu ordnen haben mochte. In gebückter Haltung eilte er dahin, mit der Miene eines wohlgenährten sanften Herrn, der mit aller Welt in Frieden leben will. Wenn er seinen Weg zur Nachtzeit gemacht, so geschah es wohl, um sich nicht unter den Grubenarbeitern bloßzustellen. Man sagte übrigens, daß er eine Beförderung erhalten habe, und wollte ihn auch schon mit seinem Nachfolger, einem mageren, glutäugigen Abbé gesehen haben.
    »Herr Pfarrer! Herr Pfarrer!« stammelte die Maheu.
    Aber er blieb nicht stehen.
    »Guten Abend, liebe Frau«, sagte er.
    Sie stand jetzt vor ihrem Hause; ihre Beine trugen sie nicht länger, und sie trat ein.
    Niemand hatte sich von seinem Platze gerührt. Maheu saß noch immer in tiefer Niedergeschlagenheit am Rande des Tisches. Der alte Bonnemort und die Kinder rückten auf ihrer Bank enger zusammen, um weniger zu frieren. Niemand hatte ein Wort gesprochen; die Kerze war so tief herabgebrannt, daß sie bald auch kein Licht mehr haben sollten. Als die Tür aufging, wandten die Kinder den Kopf; aber als sie sahen, daß die Mutter nichts mitbrachte, schauten sie wieder zur Erde und schluckten ihre Tränen still hinunter, aus Furcht gescholten zu werden. Die Maheu sank auf ihren früheren Platz neben dem erlöschenden Feuer nieder. Man befragte sie nicht; die Stille dauerte fort. Alle hatten begriffen; es war unnötig, sich noch die Mühe des Sprechens zu machen; sie verharrten in mutloser Erwartung der letzten Hilfe, die Etienne vielleicht irgendwo auftreiben werde. Die Minuten flossen dahin; sie zählten schließlich nicht mehr auf ihn.
    Als Etienne wieder erschien, brachte er in einem Abwischlappen ein halbes Dutzend kalter, gebratener Kartoffeln.
    »Das ist alles, was ich gefunden habe«, sagte er.
    Auch bei der Mouquette fehlte das Brot; sie hatte ihm ihr eigenes Essen gewaltsam in den Lappen gewickelt und ihn dazu herzhaft abgeküßt.
    Die Maheu bot ihm seinen Teil an. Aber er lehnte dankend ab; er habe schon gegessen, versicherte er.
    Er log; mit verdüsterter Miene betrachtete er die Kinder, die sich auf die Nahrung stürzten. Auch die Eltern verzichteten, um den Kindern mehr davon zu lassen; allein der Alte verschlang gierig das Ganze; man mußte ihm gewaltsam eine Kartoffel für Alzire wegnehmen.
    Etienne erzählte, er habe Neuigkeiten erfahren. Ergrimmt über die Hartnäckigkeit der Ausständigen spreche die Gesellschaft davon, den bloßgestellten Arbeitern die Arbeitsbücher zurückzustellen. Sie wollte entschieden den Krieg. Ein noch ernsteres Gerücht war in Umlauf; sie rühmte sich, eine große Anzahl Arbeiter zum Anfahren bestimmt zu haben; der Siegesschacht und Feutry-Cantel sollten schon am nächsten Tage ihre volle Belegschaft haben; auch im Magdalenenschachte und in der Mirouzeche würde ein Drittel der Arbeiter anfahren. Die

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