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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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erkannte, beruhigte er sich bald.
    »Willst du mit mir essen?« sagte er schließlich. »Ein Stück gebratenen Schellfisch ... Du sollst sogleich sehen.«
    Er hatte seinen Fisch nicht aus der Hand gelegt und begann den Fliegenschmutz abzukratzen mit Hilfe eines schönen, neuen Messers, eines jener kleinen Dolchmesser in Beinschale, auf das irgendein Losungswort eingelegt ist. Auf diesem war das Wort »Liebe« zu lesen.
    »Du hast da ein schönes Messer«, bemerkte Etienne.
    »Es ist ein Geschenk von Lydia«, erwiderte Johannes, der sich hütete hinzuzufügen, daß Lydia es auf sein Geheiß einem fahrenden Krämer in Montsou entwendet hatte.
    Während er fortfuhr, den Fisch abzukratzen, setzte er in stolzem Tone hinzu:
    »Man ist bei mir gut aufgehoben, nicht wahr?... Es ist etwas wärmer als da oben und riecht viel besser.«
    Etienne hatte sich gesetzt und hörte ihm neugierig zu. Sein Zorn war geschwunden; ein Interesse erfaßte ihn für dieses verlotterte Kind, das in seinen Lastern so unerschrocken und findig war. In der Tat fühlte er sich wohl in der Tiefe dieser Höhle; die Hitze war nicht mehr zu stark; eine gleiche Temperatur, eine Badewärme herrschte hier zu allen Jahreszeiten, während oben der Dezemberfrost die Haut der Armen zum Platzen brachte. Wenn die Galerien alt wurden, reinigten sie sich von den schädlichen Gasen; das böse Wetter war fort, man verspürte jetzt nur mehr den Geruch der alten ausgegorenen Hölzer, einen feinen Äthergeruch, wie verschärft durch einen Stich von Gewürznelke. Diese Hölzer boten jetzt übrigens einen ergötzlichen Anblick; sie hatten die blaßgelbe Farbe des Marmors, waren ausgezackt, gleichsam mit weißen Spitzen besetzt; ein schneeiges, flockiges Wachstum schien sie mit einer Verzierung von Seide und Perlen zu bekleiden. Andere wieder starrten von Pilzen. Weiße Falter, Fliegen und Spinnen flogen umher, eine farblose Tierwelt, die niemals die Sonne gesehen.
    »Hast du denn keine Furcht?« fragte Etienne.
    Johannes blickte ihn erstaunt an.
    »Furcht? Wovor? Ich bin doch allein.«
    Endlich war der Schellfisch abgekratzt. Johannes zündete ein kleines Holzfeuer an, breitete die Glut aus und ließ den Fisch braten. Dann schnitt er ein Brot in zwei Teile. Es war ein furchtbar gesalzenes Essen, aber für gute Magen sehr köstlich.
    Etienne hatte seinen Teil genommen.
    »Es nimmt mich nicht mehr wunder, daß du fett wirst, während wir abmagern«, sagte er. »Es ist doch unanständig von dir, dich so zu mästen, ohne an die anderen zu denken.«
    »Warum sind die anderen so dumm?«
    »Übrigens hast du ganz recht, dich zu verbergen; wenn dein Vater erführe, daß du stiehlst, würde er dir das Fell über die Ohren ziehen.«
    »Die Spießbürger bestehlen uns wohl nicht? Du sagst es doch selbst immer. Dieses Brot, das ich bei Maigrat stibitzte, ist sicher ein Brot, das er uns schuldete.«
    Der junge Mann sagte nichts; er hatte den Mund voll und war verlegen. Er betrachtete den Jungen mit seinem breiten Mund, seinen grünen Augen, seinen großen Ohren, in seiner Entartung einer Mißgeburt gleich mit trübem Verstande und der Verschlagenheit eines Wilden, der allmählich verliert. Die Grube, die ihn hervorgebracht, hatte ihm auch den Garaus gemacht, indem sie ihm die Beine zerschlug.
    »Bringst du auch Lydia manchmal hierher?« fragte Etienne weiter.
    »Die Kleine? Fällt mir nicht ein!« erwiderte Johannes mit einem verächtlichen Lachen. -- »Die Weiber sind geschwätzig.«
    Er lachte wieder in unermeßlicher Verachtung gegen Lydia und Bebert. Niemals habe man so alberne Kinder gesehen, meinte er. Wenn er sich erinnerte, wie sie alle seine Lügen ruhig hinnahmen und mit leeren Händen ihrer Wege gingen, während er hier sich mit gebratenem Fische gütlich tat, mußte er sich vor Lachen die Seiten halten. Er schloß seine Betrachtungen, indem er mit dem Ernste eines kleinen Philosophen bemerkte:
    »Es ist besser allein sein; da verträgt man sich immer.«
    Etienne hatte sein Brot verzehrt und trank einen Schluck Wachholderbranntwein. Einen Augenblick hatte er sich gefragt, ob es nicht Johannes Gastfreundschaft mit Undank lohnen heiße, wenn er den Jungen beim Ohr ans Tageslicht führen und ihm das fernere Stehlen verbiete unter der Drohung, seinem Vater alles zu sagen. Indem er jedoch diesen tief verborgenen Schlupfwinkel betrachtete, kam er auf einen Einfall: wer weiß, ob er seiner nicht für seine Kameraden oder für sich selbst bedürfe, falls die Dinge da oben eine

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