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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schlimme Wendung nehmen würden? Er ließ daher den Knaben schwören, nicht mehr über Nacht auszubleiben, wie es manchmal geschah, wenn er zu lange auf seinem Heulager verweilte. Dann nahm er ein Endchen Kerze und ging voraus, während der andere sein Hauswesen in Ordnung brachte.
    Die Mouquette erwartete ihn in verzweifelter Stimmung, trotz der großen Kälte auf einem Balken sitzend. Als sie ihn erblickte, warf sie sich ihm an den Hals; ihr war, als habe er ihr ein Messer ins Herz gestoßen, als er ihr seinen Entschluß mitteilte, sie nicht mehr aufzusuchen. Mein Gott, warum denn? Liebte sie ihn nicht genug? Weil er fürchtete, daß er der Versuchung, bei ihr einzutreten, nachgeben könne, zog er sie auf die Straße und erklärte ihr in schonender Weise, daß sie ihn in den Augen der Kameraden bloßstelle, daß sie der Sache der Politik schade. Sie war erstaunt. Wie konnte das der Politik schaden? Sie kam schließlich auf den Gedanken, daß er sich vielleicht ihrer schäme; sie war übrigens nicht verletzt, fand es vielmehr natürlich; und sie machte ihm den Vorschlag, daß er sie vor den Leuten ohrfeige, damit es den Anschein habe, als wollten sie miteinander brechen. Aber er solle sie doch von Zeit zu Zeit besuchen, und sei es auch nur auf wenige Augenblicke. Schier außer sich flehte sie ihn an; sie versprach, sich zu verbergen, ihn nur fünf Minuten bei sich zurückhalten. Wenngleich sehr gerührt von ihren Bitten, weigerte er sich. Es müsse sein, sagte er. Als er sie verließ, willigte er aber ein, sie noch einmal zu küssen. Schritt für Schritt waren sie bei den ersten Häusern von Montsou angelangt, und sie lagen im vollen Mondlichte einander in den Armen, als eine Weibsperson an ihnen vorüberging und plötzlich in die Höhe fuhr, als sei sie über einen Stein gestrauchelt.
    »Wer ist das?« fragte Etienne unruhig.
    »Es ist Katharina«, sagte die Mouquette. »Sie kommt von der Jean-Bart-Grube nach Hause.«
    Die Weibsperson ging jetzt gesenkten Hauptes mit müden, schlotterigen Schritten weiter. Der junge Mann blickte ihr trostlos nach, daß sie ihn gesehen hatte, von unerklärlichen Gewissensbissen gefoltert. Lebte sie nicht mit einem Manne? Hatte sie ihm nicht das nämliche Leid verursacht auf dem Wege nach R[e']quillart, als sie sich jenem Manne ergab? Aber trotz alldem kränkte es ihn, ihr Gleiches mit Gleichem vergolten zu haben.
    »Du magst mich nicht, weil du eine andere liebst«, sagte die Mouquette, als sie schieden.
    Am folgenden Tage herrschte prächtiges Wetter; es war ein klarer Frosthimmel, einer jener schönen Wintertage, an denen die hartgefrorene Erde unter den Schritten klingt wie Kristall. Johannes hatte sich um ein Uhr entfernt; er mußte Bebert hinter der Kirche erwarten, und sie mußten ohne Lydia aufbrechen, die ihre Mutter wieder im Keller eingesperrt hatte. Man hatte sie soeben herausgeholt und ihr einen Korb auf den Arm gehängt mit dem Bedeuten, daß sie ihn mit Löwenzahn gefüllt heimbringen müsse, wenn sie nicht wieder auf eine ganze Nacht mit den Ratten eingesperrt sein wolle. Von Angst ergriffen wollte sie sogleich fort, um den Salat zu sammeln. Doch Johannes brachte sie davon ab; man werde später sehen, meinte er. Auf Polen, das dicke Kaninchen des Rasseneur, hatte er es schon lange abgesehen. Als er bei dem »wohlfeilen Trank« vorüberkam, lief das Kaninchen gerade auf die Straße heraus. Mit einem Satz hatte er es bei den Ohren erfaßt und schob es sogleich in den Korb der Kleinen. Dann rannten alle drei davon. Es wird ein schöner Spaß, das Tier wie einen Hund bis zum Walde zu jagen.
    Doch sie blieben stehen, um Zacharias und Mouquet zuzusehen, die, nachdem sie mit zwei anderen Kameraden einen Schoppen getrunken hatten, ihre große Kolbenspielpartie begannen. Der Einsatz, eine neue Mütze und ein rotes Halstuch, war bei Rasseneur hinterlegt worden. Der erste Gang, vom Voreuxschachte bis zum Pachthofe Paillot, eine Strecke von nahezu drei Kilometern, wurde unter den vier Spielern versteigert; Zacharias erstand ihn; er wettete auf sieben Schläge, während Mouquet acht forderte. Man setzte die Kugel, ein eiförmiges Stück Buchsholz, mit der Spitze nach oben auf das Pflaster. Alle hielten ihre »Kolben« bereit, Schlägel mit schiefgestellter Metallscheibe und langem, mit einer Schnur fest umsponnenem Stiel. Um zwei Uhr begann das Spiel. Zacharias erwies sich sehr stark; mit seinem ersten Zug, der aus drei Schlägen bestand, schleuderte er die Kugel mehr als

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