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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Leiternschacht mündete, ein großer Tumult entstand.
    »Nieder mit den Verrätern! ... Die schändlichen Feiglinge! ... Nieder mit ihnen! ...«
    Es begann eben die Ausfahrt der Arbeiter aus der Grube. Die ersten standen blinzelnd da, geblendet von der Tageshelle. Dann zogen sie ab. suchten die Straße zu erreichen und zu entkommen.
    »Nieder mit den Feiglingen! Nieder mit den falschen Brüdern!«
    Die ganze Schar der Ausständigen war herbeigeeilt. In weniger als fünf Minuten war nicht ein Mann in den Gebäuden geblieben; die Fünfhundert von Montsou stellten sich in zwei Reihen auf und zwangen so die Arbeiter von Vandame, diese Verräter, die angefahren waren, zwischen dieser Doppelhecke durchzuziehen. Bei jedem neuen Arbeiter, der mit zerfetzten Kleidern und geschwärztem Gesichte bei der Pforte des Schlotes erschien, erneuerten sich die Schmährufe, und grausame Scherze empfingen ihn. Der da hat Dreizollbeine, und darauf sitzt gleich das Hinterteil; diesem da haben die Dirnen vom Vulkan die Nase weggefressen; diesem anderen fließt Wachs aus den Augen, so viel Wachs, daß man damit zehn Kirchen versorgen kann; da kommt ein Großer ohne Hinterbacken, so lang wie die Fasten. Jetzt kam eine Schlepperin zum Vorschein, riesengroß, der Busen im Bauch, der Bauch im Hintern; sie entfesselte ein wildes Gelächter. Man wollte sie betasten; die Scherze wurden derber, allmählich grausam, und es drohte ein Regen von Faustschlägen, während der Zug der armen Teufel fortdauerte, die zitternd die Beschimpfungen ruhig ertrugen und nach den erwarteten Hieben schielend froh waren, wenn sie die Grube endlich hinter sich hatten und laufen konnten.
    »Ei, zum Teufel! Wieviele sind denn da drinnen?« fragte Etienne.
    Er war erstaunt, noch immer Leute hervorkommen zu sehen, und es ärgerte ihn die Wahrnehmung, daß es sich nicht um einige Arbeiter handelte, die durch den Hunger genötigt und durch die Aufseher eingeschüchtert angefahren waren. Man hatte ihn also im Walde belogen: die ganze Belegschaft von Jean-Bart war angefahren. Doch als er Chaval auf der Schwelle erblickte, stürzte er mit einem Schrei hinzu.
    »Donner Gottes über dich! Zu diesem Stelldichein also hast du uns gerufen?«
    Verwünschungen wurden laut; man drängte sich heran, um sich auf den Verräter zu werfen. Wie: er hatte gestern mit ihnen geschworen, und jetzt fand man ihn mit den anderen in der Grube! Wollte er sich über sie lustig machen?
    »Faßt ihn ab! In den Schacht mit ihm!«
    Chaval war schreckensbleich geworden und stammelte irgendwelche Erklärungen. Allein Etienne schnitt ihm das Wort ab; er war außer sich, von der Wut der Bande ergriffen.
    »Du wolltest mittun, du wirst mittun... Vorwärts, marsch, Halunke!«
    Doch ein anderer Schrei übertönte seine Stimme. Katharina war zum Vorschein gekommen, geblendet von der hellen Sonne, betroffen, mitten unter diese Wilden geraten zu sein. Ihre Beine waren wie zerschlagen, nachdem sie die hundertundzwei Leitern erstiegen hatte, und ihre Handflächen bluteten. Sie wollte sich einen Augenblick verschnaufen, als die Maheu, sie erblickend, mit erhobener Hand auf sie losstürzte.
    »Du auch, Dirne?... Wenn deine Mutter Hungers stirbt, verrätst du sie wegen deines Zuhälters?«
    Maheu hielt den Arm zurück und verhinderte so den Backenstreich. Aber er schüttelte seine Tochter und machte ihr -- dem Beispiele seines Weibes folgend -- wütende Vorwürfe wegen ihres Betragens. Beide hatten den Kopf verloren und schrien stärker als die Kameraden.
    Der Anblick Katharinas hatte Etienne vollends erbittert. Er wiederholte:
    »Vorwärts! zu den anderen Gruben! Und du kommst mit uns, schmutziges Schwein!«
    Chaval hatte knapp Zeit, seine Holzschuhe aus der Baracke zu holen und eine Wolljacke über seine frierenden Schultern zu werfen. Alle zerrten ihn fort und zwangen ihn, in ihrer Mitte zu laufen. Auch Katharina -- die völlig den Kopf verloren hatte -- zog eilig ihre Holzschuhe an, knöpfte die alte Männerjacke zu, die sie seit dem Eintritt der Kälte trug, und lief hinter ihrem Galan her; sie wollte ihn nicht verlassen; denn sie war überzeugt, daß man ihn umbringen wolle.
    In zwei Minuten leerte sich Jean-Bart. Johannes, der ein Horn gefunden hatte, blies aus Leibeskräften hinein und entlockte ihm rauhe Töne, als gelte es, eine Ochsenherde zu versammeln. Die Weiber, die Brulé, die Levaque, die Mouquette, hoben ihre Röcke auf, um besser laufen zu können, während Levaque eine Hacke schwang, wie ein

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