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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und der Lauf begann wieder auf der geraden Straße, die sich zwischen den Feldern ins Unendliche dehnte.
    »Zum Magdalenenschacht! Nach Crèvecoeur! Keine Arbeit mehr! Brot! Brot!«
    Doch während des Anlaufes war in der Mitte ein Gedränge entstanden. Chaval hatte die Verwirrung benutzen wollen, um zu entkommen. Etienne hatte ihn beim Arm gefaßt und drohte ihm die Knochen im Leibe zu zerschlagen, wenn er an Verrat denke. Der andere wehrte sich und widersprach wütend:
    »Warum all das? Ist man nicht mehr frei? ... Ich friere seit einer Stunde; ich muß mich waschen. Laß mich frei«
    Er litt in der Tat durch die Kohle, die der Schweiß an seinen Leib geklebt hatte, und seine gestrickte Wolljacke schützte ihn wenig gegen die Kälte.
    »Vorwärts, oder du wirst von uns gewaschen!« antwortete Etienne. »Warum hast du auch die Blutrünstigsten zu überbieten gesucht?«
    Man lief noch immer auf der Straße fort. Etienne wandte sich schließlich nach Katharina um, die fest aushielt. Er war trostlos, sie in seiner Nähe zu wissen, so elend und fröstelnd in ihrer abgetragenen Männerjacke und ihrem schmutzbedeckten Beinkleid. Sie mußte todmüde sein, aber sie lief mit.
    »Du kannst gehen«, sagte er endlich.
    Katharina schien nicht zu hören. Als ihre Blicke die Etiennes kreuzten, flammte ein Vorwurf in ihren Augen auf. Sie blieb nicht zurück. Warum wollte er, daß sie ihren Mann verlasse? Chaval war nicht gut zu ihr, gewiß; er prügelte sie sogar manchmal. Aber er war ihr Mann, der sie zum ersten Male besessen; und sie war wütend, daß mehr als tausend Menschen sich gegen einen kehrten. Sie hätte ihn verteidigen mögen, nicht aus Liebe, aber aus Stolz.
    »Geh fort!« wiederholte Maheu heftig.
    Dieser Befehl ihres Vaters ließ sie einen Augenblick ihren Lauf verlangsamen. Sie zitterte. Tränen schwellten ihre Augenlider. Dann kam sie -- trotz ihrer Furcht -- doch wieder zurück, nahm ihren früheren Platz wieder ein und lief mit. Fortan kümmerte man sich nicht um sie.
    Die Bande überschritt die Straße nach Joiselle, folgte einen Augenblick jener nach Cron und stieg dann gegen Cougny hinan. Nach dieser Richtung sah man Fabrikschlote den platten Horizont streifen; Holzschuppen, Werkstätten aus Ziegeln erbaut, mit breiten, staubigen Fenstern, reihten sich zu beiden Seiten der Straße aneinander. Man kam an den niedrigen Häusern zweier Arbeiterdörfer vorbei, des Dorfes der Hundertachtzig und des Dorfes der Sechsundsiebzig. Auf den Ruf des Hornes, auf das Geschrei der Bande kamen Familien heraus, Männer, Weiber, Kinder, liefen mit und schlossen sich dem Zuge der Kameraden an. Als die Bande vor der Magdalenengrube ankam, zählte sie wohl gegen fünfzehnhundert Köpfe. Die Straße fiel hier sanft ab; die tosende Flut der Streikenden mußte die Runde um den Abbauhügel machen, ehe sie den Grubenhof überfluten konnte.
    In diesem Augenblick war es erst zwei Uhr. Allein die Aufseher, von dem Herannahen der Streikenden verständigt, hatten die Ausfahrt beschleunigt. Als die Bande eintraf, war der Aufstieg beendigt, die letzten zwanzig Männer verließen die Schale. Sie liefen davon, man verfolgte sie mit Steinwürfen. Zwei wurden geprügelt, ein anderer ließ einen Rockärmel in den Händen seiner Verfolger.
    Diese Jagd nach den Menschen rettete das Material, man berührte weder die Kabel noch die Kessel. Die Flut entfernte sich schon und wälzte sich nach der nächsten Grube.
    Die Grube Crèvecoeur war kaum fünfhundert Meter von der Magdalenengrube entfernt. Auch hier kam die Bande gerade zur Ausfahrt an. Eine Schlepperin wurde abgefangen und von den Weibern gepeitscht, daß ihr Beinkleid zerriß und ihre Hinterbacken sichtbar wurden, worüber die Männer lachten. Die Stößerjungen erhielten Maulschellen; einzelne Häuer bekamen während des Laufens Rippenstöße, Faustschläge auf die Nase. In dieser zunehmenden Grausamkeit, in diesem alten Bedürfnisse nach Rache, dessen Tollheit alle Köpfe verdrehte, dauerte das Schreien an, forderten sie den Tod der Verräter; es war der Haß der schlecht bezahlten Arbeit, das Geheul des brotheischenden Bauches. Man begann die Kabel zu durchschneiden, allein die Feile griff nicht an; es dauerte zu lang, man stürmte weiter, immer weiter. Bei den Kesseln wurde ein Ventil zerschlagen; das Wasser, das in vollen Kübeln in die Öfen geschleudert wurde, brachte die gußeisernen Roste zum Bersten.
    Als man wieder im Freien war, sprach man davon, nach Sankt-Thomas zu marschieren. In

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