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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und heulte:
    »Nach Gaston-Marie! Man muß die Pumpe stillstehen lassen! Jean-Bart muß ersäuft werden!«
    Schon machte die Menge kehrt trotz der Abwehr Etiennes, der sie bat, das Ausschöpfen des Wassers aus der Grube nicht zu hindern. Wozu sollte man die Galerien zerstören? Dieser Gedanke empörte sein Arbeitergewissen trotz seiner augenblicklichen Verbitterung. Auch Maheu fand es ungerecht, an einer Maschine Vergeltung zu üben. Doch der Häuer stieß seinen Racheschrei weiter aus, und Etienne mußte ihn überschreien.
    »Nach Mirou!« rief er. »Dort gibt es noch Verräter in den Gruben!«
    Mit einer Handbewegung hatte er die Bande auf den Weg nach links zurückgetrieben, während Johannes sich wieder an die Spitze stellte und stärker in das Horn blies. Es entstand ein großes Durcheinander. Gaston-Marie war für jetzt gerettet.
    Die vier Kilometer, die sie von Mirou trennten, wurden im Laufschritt, mit dem man die schier endlose Fläche durchmaß, in einer halben Stunde zurückgelegt. Der Kanal durchschnitt in dieser Richtung die Ebene wie mit einem langen Bande von Eis. Bloß die kahlen Bäume an den Ufern des Kanals, durch den Frost gleichsam in riesige Kandelaber verwandelt, unterbrachen die glatte Eintönigkeit der Ebene, die sich am fernen Horizont verlor wie in einem Meere. Montsou und Marchiennes lagen hinter einer Erdfalte verborgen. Es war die kahle Unendlichkeit.
    Sie kamen eben bei der Grube an, als sie einen Aufseher auf einem Brückensteg des Sichtungsschuppens bemerkten, der dort Aufstellung genommen hatte, um sie zu empfangen. Alle kannten den Vater Quandieu sehr wohl, den ältesten der Aufseher von Montsou, einen Greis, ganz weiß an Haut und Haaren, wohl gegen siebzig Jahre alt, ein wahres Wunder von Gesundheit unter den Bergleuten.
    »Was wollt ihr hier, Bummlerbande?« schrie er.
    Die Bande blieb stehen. Man hatte es nicht mehr mit einem Herrn, sondern mit einem Kameraden zu tun; angesichts dieses alten Arbeiters hielt eine gewisse Achtung sie zurück.
    »Es sind Arbeiter in der Grube«, sagte Etienne. »Laß sie heraufholen.«
    »Jawohl, es sind Arbeiter in der Grube,« entgegnete der Vater Quandieu; »es sind wohl an die sechs Dutzend unten; die übrigen hatten Angst vor euch Bösewichtern. Doch ich sage euch: kein einziger wird ausfahren, oder ihr sollt es mit mir zu tun haben!«
    Es erklangen Ausrufe in der Menge; die Männer drängten, die Weiber gingen vor. Der Aufseher verließ jetzt rasch den Brückensteg und verrammelte das Tor.
    Maheu suchte zu vermitteln.
    »Höre, Alter, das ist unser Recht. Wie können wir erreichen, daß der Streik allgemein wird, wenn wir die Kameraden nicht zwingen, mit uns zu halten?«
    Der Alte blieb einen Augenblick stumm. Seine Unwissenheit in Sachen der Vereinigung war augenscheinlich ebenso groß wie die des Häuers. Endlich antwortete er:
    »Es ist euer Recht, ich leugne es nicht. Aber ich kenne nichts als meinen Auftrag ... Ich bin hier allein. Die Leute haben bis drei Uhr in der Grube zu bleiben, und sie bleiben bis drei Uhr dort.«
    Die letzten Worte gingen in lauten Beschimpfungen unter. Man bedrohte ihn mit den Fäusten; die Weiber schrien ihm um die Ohren; ihr warmer Hauch streifte sein Gesicht. Aber er blieb standhaft, das Haupt erhoben, mit seinem Geißbart und seinen Haaren so weiß wie Schnee; der Mut verlieh seiner Stimme eine solche Kraft, daß sie den Tumult beherrschte und deutlich zu vernehmen war.
    »Bei Gott, ihr kommt nicht hinein! ... So wahr die Sonne uns bescheint, ich will lieber verrecken als an die Kabel rühren lassen! ... Drängt nicht weiter vor, oder ich stürze mich vor euren Augen in den Schacht.«
    Ein Zittern fuhr durch die Menge, und sie wich zurück. Der Alte fuhr fort:
    »Wer ist ein solcher Saukerl, um das nicht zu verstehen?... Ich bin nur ein Arbeiter wie ihr. Man hat mir befohlen, die Grube zu behüten, und ich behüte sie.«
    Weiter reichte das Verständnis des wackern Vaters Quandieu nicht; er beharrte mit soldatischer Starrheit bei seiner Pflicht, der Alte mit dem beschränkten Schädel und den von einem in den schwarzen Gruben verbrachten halben Jahrhundert getrübten Augen. Die Kameraden betrachteten ihn bewegt; was er sagte, fand einen Widerhall in ihnen: es war der soldatische Gehorsam, die Brüderlichkeit, die Ergebung in der Gefahr. Er glaubte, sie schwankten noch und wiederholte:
    »Ich springe vor euch in den Schacht!«
    Es ging wie ein gewaltiger Stoß durch die Schar. Alle hatten den Rücken gewandt,

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