Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Tambourmajor seinen Stab. Andere Kameraden stießen zur Bande, die jetzt an tausend Köpfe zählte und sich ohne jede Ordnung, wie ein aus den Ufern getretener Strom über die Straße ergoß. Der Weg, der aus dem Werke hinausführte, war zu schmal; die Pfahlhecken wurden niedergebrochen.
    »Zu den Gruben! Nieder mit den Verrätern! Keine Arbeit mehr!«
    Jean-Bart versank plötzlich in liefe Stille. Kein Mensch, kein Laut. Deneulin verließ das Aufseherzimmer und machte sich allein -- jede Begleitung abwehrend -- an die Untersuchung der Grube. Er war bleich, sehr ruhig. Zuerst blieb er vor dem Aufzugsschachte stehen, erhob die Augen und betrachtete die durchschnittenen Kabel; die Enden des stählernen Seiles hingen unnütz herab; der Biß der Feile hatte eine frische Wunde zurückgelassen, die aus dem Schwarz der Schmierfette hervorschimmerte. Dann ging er zur Maschine hinauf, betrachtete die Kurbelstange, die unbeweglich war wie das Gelenk eines von der Lähmung getroffenen kolossalen Gliedes, berührte das schon erkaltete Metall, wobei er zusammenschauerte, als habe er einen Toten berührt. Dann stieg er zu den Kesseln hinab, ging langsam bei den erloschenen Öfen vorbei, die weit gähnend und mit Wasser übergössen dastanden, stieß mit dem Fuße an die Dampferzeuger, die einen hohlen Klang gaben. Es war zu Ende; sein Ruin war eine ausgemachte Sache. Selbst wenn er die Kabel ausbessern, die Feuer wieder anzünden ließ: wo würde er Arbeiter finden? Noch zwei Wochen Streik, und er war bankerott. In dieser Gewißheit seines Unglücks empfand er keinen Haß mehr gegen die Räuber von Montsou; er fühlte die Mitschuld aller, den allgemeinen, hundertjährigen Fehler. Es waren Tiere ohne Zweifel; aber Tiere, die nicht lesen konnten und Hungers starben.
     

Viertes Kapitel
    Unter dem fahlen Winterhimmel zog die Bande durch die in das weiße Winterkleid gehüllte flache Ebene und ergoß sich von der Straße über die Rübenfelder.
    Bei dem »Ochsengabel« zubenannten Felde nahm Etienne den Befehl über diese Menge in die Hand. Er rief Weisungen aus und organisierte den Marsch. Johannes galoppierte voran und entlockte dem Horn greuliche Klänge. In den ersten Reihen marschierten die Weiber, einige mit Stöcken bewaffnet, die Maheu mit wild flammernden Augen, welche die verheißene Stadt der Gerechtigkeit zu suchen schienen; die Brulé, die Levaque, die Mouquette schritten tüchtig aus unter ihren Lumpen gleich Soldaten, die in den Krieg ziehen. Wenn es zu einem Zusammenstoße kommen solle, werde man wohl sehen, ob die Gendarmen es wagen, auf Weiber einzuhauen. Ihnen folgten die Männer in der Regellosigkeit einer Herde, in einem Zuge, der sich immer mehr ausbreitete, von Eisenstangen starrend, von der einzigen Hacke Levaques überragt, deren Schneide in der Sonne glänzte. In der Mitte marschierte Etienne, der Chaval nicht aus den Augen ließ und ihn zwang, vor ihm zu gehen, während hinter ihm Maheu ging, mit düsterer Miene von Zeit zu Zeit auf seine Tochter Katharina blickend, die einzige Weibsperson unter diesen Männern, die in ihrer Hartnäckigkeit neben ihrem Liebsten einherschritt, damit ihm kein Leid geschehe. Viele gingen barhäuptig, und der Wind trieb mit ihren Haaren sein Spiel. Man hörte nur das Geklapper der Holzschuhe, das dem Lauf einer losgelassenen Viehherde glich, die dem wilden Getute Johannes' folgte.
    Sogleich erscholl ein neuer Schrei.
    »Brot! Brot! Brot!«
    Es war Mittag; der Hunger der sechs Streikwochen erwachte in den leeren Bäuchen, noch aufgestachelt durch diesen Lauf über Stock und Stein. Die wenigen Brotrinden vom Morgen und die Kastanien der Mouquette waren längst verdaut; die Magen schrien, und dieses Leiden verstärkte noch die Wut gegen die Verräter.
    »Zu den Gruben! Keine Arbeit mehr! Brot! Brot!«
    Etienne, der am Morgen im Dorfe abgelehnt hatte, seinen Teil zu essen, hatte ein unerträgliches Gefühl des Zerreißens in der Brust. Er beklagte sich nicht, aber er griff von Zeit zu Zeit mechanisch nach seiner Feldflasche und nahm einen Schluck Wachholderbranntwein; er fror so arg, daß er dies nötig zu haben glaubte, um sein Vorhaben zu Ende zu führen. Seine Wangen erhitzten sich; eine Flamme loderte auf in seinen Augen. Indes bewahrte er seine Besonnenheit, er wollte unnütze Zerstörungen vermeiden.
    Als man die nach Joiselle führende Straße erreichte, zog ein Häuer von Vandame, der sich der Bande angeschlossen hatte, aus Rache gegen seinen Herrn die Kameraden nach rechts

Weitere Kostenlose Bücher