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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie so schmutzig war. Johannes machte sich den Spaß, den Inhalt einer Lampe in ihren Nacken zu leeren.
    Allein alle diese Verwüstungen sättigten nicht. Die Bäuche schrien noch lauter, und der Lärm wurde von einem unaufhörlichen Rufe übertönt:
    »Brot! Brot! Brot!«
    In der Siegesgrube war ein ehemaliger Aufseher, der eine Kantine hielt. Er war ohne Zweifel von Angst ergriffen, denn sein Laden war verlassen. Als die Weiber zurückkehrten und die Männer das Schienengeleise vollends zerstört hatten, belagerten sie die Kantine, deren Fensterläden dem ersten Ansturm nachgaben. Man fand kein Brot; es war nichts anderes da als zwei Stücke rohes Fleisch und ein Sack Kartoffeln. Allein während der Plünderung entdeckte man etwa fünfzig Flaschen Wachholderbranntwein, die verschwanden wie ein Tropfen Wasser im Sande.
    Etienne konnte seine leere Feldflasche neu füllen. Ein schlimmer Rausch, der Rausch der Hungernden, hatte allmählich seine Augen entzündet, und er fletschte wahre Wolfszähne zwischen den fahlen Lippen. Plötzlich bemerkte er, daß Chaval inmitten des Tumultes entflohen war. Er fluchte und entsandte einige Leute nach dem Flüchtigen; man fand ihn mit Katharina hinter den Holzstößen versteckt.
    »Ha, Saukerl! Du fürchtest, daß man hinter deine Schliche kommt?« heulte Etienne. »Im Walde warst du es selbst, der den Streik der Maschinisten forderte, damit die Pumpen stillstehen, und jetzt nimmst du Reißaus ... Gut, wir kehren nach Gaston-Marie zurück; du sollst die Pumpe zerschlagen. Jawohl, Hundsfott, du sollst sie zerschlagen!«
    Er war betrunken; er selbst jagte seine Leute gegen diese Pumpe, die er einige Stunden früher gerettet hatte.
    »Nach Gaston-Marie! Nach Gaston-Marie!«
    Alle riefen Beifall und eilten herbei, während Chaval, den man bei den Schultern gefaßt hatte und heftig vorwärts trieb, noch immer verlangte, daß man ihm gestatte, sich zu waschen.
    »So geh doch deiner Wege!« rief Maheu Katharina zu, die ebenfalls wieder mitlief.
    Doch jetzt wich sie nicht einmal zurück; sie sah ihren Vater flammend an und setzte ihren Lauf fort.
    Wieder durcheilte die Bande die flache Ebene. Sie ging zurück auf den langen, geraden Straßen über die weit gestreckten Felder. Es war vier Uhr; die am Horizont niedergehende Sonne warf auf den fest gefrorenen Boden die langen Schatten dieser Bande, die unter wütenden Gebärden sich fortbewegte.
    Man umging Montsou und erreichte weiter oben die Straße nach Joiselle. Um nicht den Ochsengabelanger umgehen zu müssen, zog man unter den Mauern der Piolaine vorbei. Die Grégoire war eben fortgegangen, weil sie einen Besuch bei dem Notar zu machen hatten, ehe sie zu den Hennebeau essen gingen, wo sie Cäcilie finden sollten. Die Besitzung schien zu schlafen mit ihrer verödeten Lindenallee, ihrem winterlich kahlen Gemüsegarten und Obstgarten. Nichts regte sich in dem Hause, dessen geschlossene Fenster von dem Hauche der inneren Wärme getrübt waren; aus der tiefen Stille gewann man den Eindruck von Gemütlichkeit und Wohlergehen, das behagliche Gefühl der guten Betten und der guten Tafel, des geregelten Glückes, in welchem das Leben der Besitzer dahinfloß.
    Die Bande warf -- ohne stehen zu bleiben -- finstere Blicke über das Gitter längs der schützenden Mauern, die von Glasscherben starrten. Von neuem begann der Ruf:
    »Brot! Brot! Brot!«
    Nur die Hunde antworteten mit wütendem Gebell, ein paar große dänische Hunde mit rotem Haar, die sich aufrichteten und das Maul aufrissen. Im Hause selbst war niemand anwesend als die zwei Mägde, die Köchin Melanie und das Stubenmädchen Honorine, die auf den furchtbaren Schrei herbeigeeilt waren, sich zitternd hinter den Vorhängen eines der geschlossenen Fenster verbargen und mit schreckensbleichen Gesichtern diese Wilden vorüberziehen sahen. Sie sanken in die Knie und hielten sich schon für tot, als sie einen Stein gegen das Haus fliegen hörten, welcher die Scheibe eines benachbarten Fensters zerschlug. Es war nur ein Spaß von Johannes; er hatte sich aus einem Stück Seil eine Schleuder gemacht und den Grégoires damit im Vorübergehen einen guten Tag gesagt. Jetzt stieß er wieder in sein Horn, und die Bande verlor sich in der Ferne mit dem einzigen Rufe:
    »Brot! Brot! Brot!«
    Man kam nach Gaston-Marie in noch größerer Zahl; es waren jetzt über zweitausendfünfhundert Tobsüchtige, die alles zerbrachen, alles hinwegfegten mit der angeschwollenen Macht eines reißenden Stromes.

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