Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
getrocknet hatte wie einer, der von seinem Rausche ernüchtert wird, sagte er zu Chaval inmitten der tiefen Stille:
    »Sie hat recht, es ist genug ... Mach', daß du fortkommst!«
    Chaval lief sogleich davon und Katharina hinter ihm drein. Die Menge blickte ihnen betroffen nach und sah sie hinter einer Krümmung des Weges verschwinden. Nur Frau Maheu murmelte:
    »Sie haben unrecht; man hätte ihn da behalten sollen; er wird sicherlich irgendeinen Verrat üben.«
    Doch die Bande hatte sich wieder in Marsch gesetzt. Es war nahezu fünf Uhr. Die tief am Saumne des Horizontes stehende blutrote Sonne tauchte die ungeheure Ebene in eine Feuerglut. Ein fahrender Krämer, der vorüberkam, teilte ihnen mit, daß die Dragoner in der Richtung gegen Crèvecoeur weitergeritten seien. Da machten sie kehrt, und eine Weisung lief durch die Reihen.
    »Nach Montsou! Zur Direktion! ... Brot! Brot! Brot!«
     

Fünftes Kapitel
    Herr Hennebeau war an das Fenster seines Kabinetts getreten, um die Kalesche abfahren zu sehen, die seine Frau zum Frühstück nach Marchiennes führte.
    Er hatte eine Weile Negrel nachgeblickt, der neben dem Wagenschlage ritt; dann hatte er ruhig wieder an seinem Schreibtische Platz genommen. Das Haus schien leer, wenn seine Frau und sein Neffe es nicht mit ihren geräuschvollen Dasein belebten. Der Kutscher lenkte heute die Kalesche der Hausfrau; Rose, das neue Kammermädchen, hatte Urlaub bis fünf Uhr; so war niemand zu Hause als Hippolyte, der Kammerdiener, der sich in Pantoffeln durch die Zimmer schleppte, und die Köchin, die seit Tagesanbruch alle Hände voll zu tun hatte, um das Essen zu bereiten, das ihre Herrschaft des Abends gab. Herr Hennebeau hoffte denn auch, in der tiefen Stille des leeren Hauses den ganzen Tag tüchtig zu arbeiten.
    Obgleich Hippolyte den Auftrag bekommen hatte, niemanden vorzulassen, erlaubte er sich dennoch gegen neun Uhr Herrn Dansaert anzumelden, der Neuigkeiten brachte. Da erst erfuhr der Direktor von der gestrigen Versammlung im Walde. Die Einzelheiten, die der Oberaufseher lieferte, lauteten so genau, daß der Direktor, während er ihm zuhörte, an seine Liebschaft mit Frau Pierron dachte, die so bekannt war, daß wöchentlich zwei, drei namenlose Briefe die Ausschweifungen des Oberaufsehers meldeten. Augenscheinlich hatte Pierron geplaudert; diese Polizei roch nach dem Ehebett. Er benützte sogar die Gelegenheit, um merken zu lassen, daß er alles wisse, und begnügte sich, Vorsicht zu empfehlen, damit kein Ärgernis herauskomme. Erschreckt durch diese Vorwürfe, die mitten in seinen Bericht fielen, leugnete Dansaert, stammelte Entschuldigungen, während seine große Nase durch ihr plötzliches Erröten zum Verräter an ihm wurde. Er beharrte übrigens nicht weiter bei der Sache und war froh, so leichten Kaufes darüber hinweggekommen zu sein; denn gewöhnlich zeigte sich der Direktor von der unerbittlichen Strenge eines sittenreinen Mannes, wenn ein Beamter sich in einer Grube den Genuß einer hübschen Arbeiterin gönnte. Die Unterredung bewegte sich wieder um den Streik; diese Versammlung im Walde wurde als eine Großtuerei von Schreihälsen behandelt; es drohe keine ernste Gefahr. In allen Fällen würden die Arbeiterdörfer sich einige Tage still verhalten unter dem Eindrucke des heilsamen Respektes, den die Militärstreifen vom Morgen hervorgebracht hatten.
    Als Herr Hennebeau wieder allein war, stand er auf dem Punkte, eine Depesche an den Präfekten abzusenden. Nur das Bedenken, unnötigerweise einen solchen Beweis von Unruhe zu geben, hielt ihn zurück. Er konnte sich schon nicht verzeihen, so wenig Voraussicht gezeigt zu haben, daß er überall sagte, ja sogar der Verwaltung schrieb, der Streik werde höchstens zwei Wochen dauern. Jetzt währte der Arbeitsausstand -- zu seiner großen Überraschung -- schon fast zwei Monate; er war darüber trostlos, fühlte sich mit jedem Tage kleiner, bloßgestellt, genötigt, irgendeinen Kapitalstreich zu ersinnen, wenn er sich bei den Verwaltungsräten wieder in Gunst setzen wollte. Er hatte eben Weisungen verlangt für den Fall, daß es einen Rummel geben solle. Die Antwort zögerte; er erwartete sie mit der Nachmittagspost. Er sagte sich, daß es dann noch Zeit sei, Telegramme abzusenden, um die Gruben militärisch zu besetzen, wenn dies die Ansicht der Herren Verwaltungsräte sei. Nach seinem Dafürhalten werde es den Kampf, das Blutvergießen, Tote und Verwundete bedeuten. Eine solche Verantwortlichkeit verwirrte ihn

Weitere Kostenlose Bücher