Germinal
zu nachtschlafender Zeit. Das war seine Frau, die heraufkam, um da zu schlafen.
Er war auf einen Sessel gesunken angesichts des Bettes, das er starren Auges betrachtete; da verharrte er lange Minuten regungslos wie tot. Ein Geräusch störte ihn auf; man pochte an die Türe, man versuchte zu öffnen. Er erkannte die Stimme des Dieners.
»Gnädiger Herr! ... Ach, gnädiger Herr, haben sich eingeschlossen ...«
»Was gibt es denn wieder?«
»Die Sache scheint dringend; die Arbeiter zerschlagen alles. Es sind wieder zwei Männer unten. Auch Depeschen sind gekommen.«
»Laßt mich in Ruhe! Ich komme sogleichl«
Der Gedanke, daß Hippolyte selbst das Fläschchen hätte finden können, wenn er am Morgen das Zimmer aufgeräumt hätte, ließ sein Blut zu Eis erstarren. Dieser Diener mußte übrigens wissen; er hatte zwanzigmal das Bett noch warm von dem Ehebruch gefunden, Haare der Herrin auf dem Polster, abscheuliche Spuren, die das Linnen befleckten. Es geschah sicherlich aus Bosheit, daß er so beharrlich ihn zu stören suchte. Vielleicht hatte er an den Türen gelauscht, erregt über die Ausschweifungen seiner Herrschaft.
Herr Hennebeau rührte sich nicht. Er betrachtete noch immer das Bett. Die von Leiden erfüllte lange Vergangenheit rollte sich vor ihm auf, seine Ehe mit diesem Weibe, das seelische und leibliche Mißverständnis, das zwischen ihnen sich sogleich offenbarte; die Liebhaber, die sie hatte, ohne daß er es ahnte; dann der, den er zehn Jahre lang duldete, wie man bei einem Kranken einen unflätigen Geschmack duldet. Dann ihre Ankunft in Montsou, seine unsinnige Hoffnung, sie zu heilen, Monate der Erschöpfung, der schlummernden Verbannung, die Annäherung des Alters, das ihm sie endlich wiedergeben sollte. Dann kam ihr Neffe, dieser Paul, dem sie eine zweite Mutter ward, dem sie von ihrem toten Herzen sprach, das für immer unter der Asche vergraben sei. Und er -- der schwachsinnige Gatte -- sah nichts voraus; er betete diese Frau an, welche die seine war, die andere Männer besessen hatten und nur er allein nicht besitzen konnte. Er betete sie an in einer schmachvollen Leidenschaft; er hätte vor ihr in die Knie sinken mögen, wenn sie eingewilligt hätte, ihm zu geben, was die anderen übrig gelassen. Allein sie gab es diesem Knaben.
Ein Glockenzeichen aus der Ferne ließ in diesem Augenblicke Herrn Hennebeau erbeben. Er kannte dieses Zeichen; es wurde auf seinen Befehl gegeben, wenn der Postbote ankam. Er erhob sich und rief in seiner Erbitterung, die sich gegen seinen Willen in rohen Worten Luft machte, aus:
»Ich pfeife auf ihre Depeschen und ihre Briefe!«
Die Wut hatte sich jetzt seiner bemächtigt, das gierige Bedürfnis nach einer Kloake, um mit Fußtritten solchen Unflat darin zu versenken. Dieses Weib war eine Metze. Er suchte nach rohen Worten, er ohrfeigte damit ihr Bild. Der so plötzliche Einfall der Ehe zwischen Paul und Cäcilie, den sie mit einem so ruhigen Lächeln verfolgte, erbitterte ihn vollends. Auf dem Grunde dieser regen Sinnlichkeit gab es also keine Leidenschaft, keine Eifersucht mehr? Sie war ihr nur mehr ein lasterhaftes Spielzeug, die Gewohnheit des Mannes, eine Erholung, die sie sich gönnte wie einen gewohnten Nachtisch? Er maß ihr alle Schuld bei; er entschuldigte diesen Knaben, in den sie mit ihrem wiedererwachten Appetit gebissen hatte, wie man in die erste grüne Frucht beißt, die man am Wege gestohlen. Wen wird sie verzehren, wohin wird sie sinken, wenn sie keine gefälligen Neffen mehr findet, die praktisch genug sind, in ihrer Familie den Tisch, das Bett und das Weib anzunehmen?
Jetzt kratzte man schüchtern an die Tür, und Hippolyte erlaubte sich durch das Schlüsselloch zu flüstern:
»Gnädiger Herr, die Post ... Auch ist Herr Dansaert wieder da und meldet, daß gemordet wird ...«
»Gut, ich komme schon. Hol' euch der Teufel!«
Was soll er mit ihnen anfangen, wenn sie von Marchiennes heimkehren? Er wird sie davonjagen wie stinkende Tiere, die er unter seinem Dache nicht länger dulden will. Er wird einen Knüttel gegen sie schwingen und ihnen zurufen, das Gift ihrer Paarung anderswohin zu tragen. Von ihren Seufzern, von ihren ineinander geschlossenen Atemzügen war die feuchte Wärme dieses Zimmers so schwer; der durchdringende Geruch, der ihn schier erstickt hatte, --- es war der Moschusgeruch, der von der Haut seines Weibes ausströmte: auch wieder ein verderbter Geschmack, ein fleischliches Bedürfnis nach scharfen Wohlgerüchen; und so fand
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