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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sein Anliegen um ein Darlehen von hunderttausend Franken bei den Grégoire vorgebracht; ihre Weigerung, auf die er übrigens gefaßt war, hatte ihm den Rest gegeben. Sie wiesen sein Verlangen -- wie sie versicherten -- nur aus Freundschaft zurück, um ihm einen aussichtslosen Kampf zu ersparen. Sie erteilten ihm den Rat, seine Grube zu verkaufen. Aber er weigerte sich noch immer sehr heftig. Es machte ihn wütend, daß er die Kosten des Streiks bezahlen solle. Er fühlte, daß ihm alles Blut zu Kopfe gestiegen war, daß es ihm schier den Atem verlegte, und er hoffte, den Tod davon zu haben. Aber was konnte er schließlich anfangen? Er mußte den Kaufsangeboten Gehör schenken. Man ärgerte ihn, man setzte den Wert dieser herrlichen Beute herab, dieses instandgesetzten, neu eingerichteten Schachtes, dessen Ausbeutung nur durch den Mangel an Kapital verhindert wurde. Er konnte froh sein, wenn er soviel daraus herausschlug, um seine Gläubiger befriedigen zu können. Zwei Tage lang hatte er sich gegen die in Montsou weilenden Verwaltungsräte gewehrt, wütend über die Ruhe, mit der sie seine Verlegenheit mißbrauchten, so wütend, daß er ihnen ein donnerndes »Niemals!« zuschrie. Dabei blieb er; sie waren nach Paris zurückgekehrt, um dort geduldig sein letztes Röcheln abzuwarten. Etienne witterte die Art und Weise, wie die Gesellschaft für das Mißgeschick, das sie getroffen, sich Ersatz holen wolle; und er ward wieder von Zagen ergriffen angesichts der unbezwinglichen Gewalt des Großkapitals, das im Kampfe so mächtig war, daß es von der Niederlage sich mästete, indem es die Leichen der an seiner Seite gefallenen kleinen Unternehmer fraß.
    Glücklicherweise brachte Johannes am nächsten Tage ihm eine gute Nachricht. In Voreux drohte die Verzimmerung des Aufzugsschachtes zu bersten, das Wasser sickerte durch alle Ritzen; man hatte in aller Eile eine Schar von Zimmerleuten aufbieten müssen, um den Schaden auszubessern.
    Bisher war Etienne der Voreuxgrube ausgewichen aus Angst vor dem Schattenriß der Schildwache, die auf dem Hügel stand und von da die Ebene beherrschte; man konnte dieser Schildwache nicht ausweichen, sie war in der Luft gleichsam die Fahne des Regiments. Gegen drei Uhr morgens verdunkelte sich der Himmel; er begab sich in die Grube, wo Kameraden ihm den schlechten Zustand der Verzimmerung erklärten; sie meinten sogar, es sei dringend notwendig, die ganze Verholzung zu erneuern, was die Kohlenförderung mindestens für drei Monate aufhalten mußte. Lange strich er herum und lauschte den Hammerschlägen der Zimmerleute im Schachte. Diese Wunde, die verbunden werden mußte: sie erfreute sein Herz.
    Als er bei Tagesanbruch heimkehrte, fand er wieder die Schildwache auf dem Hügel. Jetzt mußte sie ihn sicher sehen. Seinen Weg fortsetzend, dachte er an diese Soldaten, die man aus der Mitte des Volkes nahm, um sie gegen das Volk zu bewaffnen. Wie leicht wäre der Sieg der Revolution gewesen, wenn die Armee sich plötzlich für sie erklärt hätte! Es genügte, daß der Arbeiter und der Bauer in der Kaserne sich Ihres Ursprungs erinnerten. Es war die äußerste Gefahr, das höchste Entsetzen, das den Spießbürgern ein Zähneklappern verursachte, wenn sie an die Möglichkeit eines Abfalls der Truppen dachten. In zwei Stunden wären sie hinweggefegt, ausgerottet mit allen Genüssen und Abscheulichkeiten ihres ungerechten Lebens. Schon wurde behauptet, daß ganze Regimenter vom Sozialismus angesteckt seien. War es so? Sollte die Gerechtigkeit kommen dank den durch das Bürgertum verteilten Kartuschen? Zu einer andern Hoffnung überspringend, träumte der junge Mann, daß das Regiment, dessen Posten die Gruben bewachten, zum Streik überging, die Gesellschaft samt und sonders niederschoß und endlich das Bergwerk den Bergleuten gab.
    Jetzt bemerkte er erst, daß er den Hügel hinanstieg, während ihm der Kopf von diesen Betrachtungen summte. Warum sollte er mit diesem Soldaten nicht ein Gespräch beginnen? fragte er sich. Es wäre ein Mittel, seine Ansichten kennen zu lernen. Mit gleichgültiger Miene näherte er sich und tat, als suche er Holzspäne unter dem alten Geröll. Die Schildwache blieb unbeweglich.
    »He, Kamerad, ist das ein Hundewetter!« sagte Etienne endlich. »Ich denke, wir bekommen Schnee.«
    Es war ein kleiner, sehr blonder Soldat mit einem sanften, blassen Gesichte, das mit Sommersprossen bedeckt war. Unter seiner Kapuze zeigte er die Verlegenheit eines Rekruten.
    »Ja, ich

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