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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Mauern und Bäumen waren ganz weiß, von einer einzigen, endlosen Weiße. Das Dorf der Zweihundertundvierzig war unter dem Schnee vergraben, gleichsam verschwunden. Kein Rauch stieg von den Dächern auf. In den Häusern brannte kein Feuer mehr; sie waren so kalt wie die Steine auf der Straße, und so schmolz denn auch nicht die dicke Schneeschicht, die auf den Dächern lag. Das Dorf glich einem Viereck von weißen Fliesen in der weißen Ebene; es war gleichsam das Gespenst eines toten Dorfes, das in sein Laken eingehüllt ist. Die Militärpatrouillen allein ließen in den Straßen die schmutzigen Spuren ihrer Tritte zurück.
    Im Hause der Maheu war gestern die letzte Schaufel Kohlenstaub verbrannt; an eine Nachlese auf dem Hügel war nicht zu denken in diesem furchtbaren Wetter, wo selbst die Spatzen keinen Strohhalm mehr fanden. Alzire in ihrem Eigensinn hatte mit ihren armen Händchen in dem Schnee herumgewühlt und sich dabei krank gemacht. Ihre Mutter hüllte sie in eine alte Decke, bis der Doktor Vanderhaghen komme, den sie schon zweimal gesucht hatte, ohne ihn zu finden. Die Magd hatte versprochen, der Arzt werde noch vor Abend nach dem Dorfe kommen. Jetzt stand die Mutter am Fenster und spähte auf die Straße hinaus, während die Kleine, die nicht oben hatte bleiben wollen, auf einem Sessel neben dem kalten Ofen fror und sich einbildete, es sei hier besser. Der alte Bonnemort, den es wieder in den Beinen gepackt hatte, saß ihr gegenüber und schien zu schlafen. Weder Leonore noch Heinrich waren heimgekehrt; sie trieben sich mit Johannes bettelnd auf den Straßen herum. Maheu allein ging mit schweren Tritten in der Stube auf und ab; jedesmal stieß er an die Mauer mit der Blödigkeit eines Tieres, das seinen Käfig nicht mehr sieht. Auch das Petroleum war zu Ende gegangen; aber der Widerschein des Schnees erhellte trotz der Nacht die Stube mit einem fahlen Lichte.
    Jetzt wurde draußen ein Geklapper von Holzschuhen hörbar; die Levaque stieß ungestüm die Türe auf und schrie von der Schwelle der Maheu zu:
    »Also du hast gesagt, daß ich meinen Einwohner zwinge, mir zwanzig Sous zu geben, sooft er bei mir schläft?«
    Die Andere zuckte die Achseln.
    »Laß mich in Frieden; ich habe nichts gesagt ... Und vor allem: wer hat es dir gesagt?«
    »Man hat mir erzählt, daß du es sagtest. Du brauchst nicht zu wissen, wer ... Du sollst außerdem noch gesagt haben, daß du es sehr gut hörst, wenn wir hinter der Wand unsere Schweinereien treiben, und daß sich bei uns der Dreck anhäuft, weil ich immer auf dem Rücken liege ... Wagst du noch zu leugnen, daß du alldas gesagt hast? ...«
    Der unaufhörliche Klatsch der Weiber führte jeden Tag solches Gezänk herbei. Besonders zwischen den Familien, die Tür an Tür wohnten, waren die Entzweiungen und Wiederversöhnungen alltäglich. Aber noch niemals hatte eine so arge Bosheit sie gegeneinander losgehen lassen. Seit dem Streik trieb der Hunger den Groll zum äußersten, man hatte das Bedürfnis, sich zu prügeln; eine Auseinandersetzung zwischen zwei Klatschbasen endigte mit einer blutigen Rauferei zwischen ihren Männern.
    Eben kam auch Levaque an, den Bouteloup mit Gewalt herbeischleppend.
    »Da ist der Kamerad; er soll einmal sagen, ob er meinem Weibe zwanzig Sous gegeben hat, damit sie bei ihm schlafe.«
    Der Mieter verbarg seine Verlegenheit hinter seinem großen Barte und stammelte:
    »Oh nein ... Nichts ... Niemals! ...«
    Da erhob Levaque drohend die Faust gegen Maheu.
    »Hör' einmal, mir paßt das nicht! Wenn man ein solches Weib hat, zerschlägt man ihr die Lenden ... Glaubst du etwa, was sie gesagt hat?«
    »Himmelherrgott!« schrie Maheu wütend, in seinen trübseligen Gedanken gestört worden zu sein, -- »was soll wieder all die Klatscherei? Hat man noch nicht genug an seinem Elend? Laß mich in Frieden, oder ich schlage zu. Und vor allem: wer hat dir gesagt, daß mein Weib dies gesagt hat?«
    »Wer es gesagt hat? ... Die Pierron hat es gesagt ...«
    Frau Maheu brach in ein schrilles Lachen aus; sie trat an die Levaque heran und sagte:
    »Die Pierron ist's? ... Gut, da kann ich dir sagen, was sie mir gesagt hat. Jawohl; sie hat mir gesagt, du schliefest mit deinen beiden Männern zugleich, der eine oben, der andere unten.«
    Jetzt war eine Verständigung nicht mehr möglich. Alle waren in Zorn geraten; die Levaque schleuderten den Maheu die Antwort hin, daß die Pierron von ihnen noch ganz andere Dinge gesagt habe; daß sie Katharina verkauft und

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