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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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glaube«, brummte er.
    Er schaute mit seinen blauen Augen lange nach dem fahlen Himmel, nach dieser rauchigen, nebeligen Morgendämmerung, die in der Ferne schwarz und bleischwer auf der Ebene lastete.
    »Wie dumm ist es, euch hierher zu stellen, wo euch das Mark in den Knochen gefriert!« fuhr Etienne fort.
    »Möchte man nicht glauben, daß die Kosaken kommen! ... Überdies weht hier oben immer ein scharfer Wind.«
    Der kleine Soldat zitterte vor Kälte, ohne sich zu beklagen. Es war wohl eine Hütte aus Backsteinen da, in welcher der alte Bonnemort in stürmischen Nächten Zuflucht suchte; allein, der Soldat hatte Befehl, den Gipfel des Hügels nicht zu verlassen, und rührte sich also nicht, obgleich seine Hände so steif vom Froste waren, daß er seine Waffe nicht mehr fühlte. Er gehörte zu dem Posten von sechzig Mann, der die Voreuxgrube bewachte; da diese schreckliche Wache häufiger wiederkehrte, waren ihm fast die Füße abgefroren. Das Soldatenhandwerk erforderte es so; ein passiver Gehorsam schläferte ihn schließlich ein; er antwortete auf die Fragen mit gestammelten Worten wie ein schlummerndes Kind.
    Vergebens bemühte sich Etienne eine Viertelstunde lang, ein Gespräch über Politik anzuknüpfen. Er sagte Ja, er sagte Nein und schien nicht zu begreifen. Die Kameraden erzählten, der Kapitän sei Republikaner; er selbst habe darüber keine Gedanken, es sei ihm alles gleich. Wenn man ihm zu schießen bestelle, schieße er, um nicht bestraft zu werden. Der Arbeiter hörte ihm zu, von dem Hasse des Volkes gegen die bewaffnete Macht beseelt, gegen diese Brüder, denen man das Herz auswechselt, indem man ihnen eine rote Hose über den Hintern zieht.
    »Wie heißen Sie?«
    »Julius.«
    »Und woher stammen Sie?«
    »Aus Plogoff, weither.«
    Aufs Geratewohl hatte er dabei den Arm ausgestreckt. Es war in der Bretagne, mehr wußte er nicht zu sagen. Sein kleines, blasses Gesicht belebte sich, und er begann zu lachen.
    »Ich habe dort meine Mutter und meine Schwester. Sie erwarten mich sicherlich. Ach! Es wird nicht so bald sein ... Als ich zum Dienst einrückte, gaben sie mir bis Pont-l'Abbé das Geleit. Wir hatten vom Nachbar Lepalmec den Gaul ausgeliehen; bei der Talfahrt von Audierne hat das Tier beinahe die Beine gebrochen. Der Vetter Charles erwartete uns mit Würsten; aber sie blieben uns im Munde stecken, die Weibsleute flennten zuviel. Ach, mein Gott! Mein Gott! Es ist gar weit bis zu uns!«
    Seine Augen wurden feucht, und dennoch lächelte er dabei. Der kahle Landstrich von Plogoff, diese wild zerklüftete, von Stürmen umtoste Spitze von Le Raz: sie erschien ihm in Sonnenlicht gebadet, in der rosigen Jahreszeit, wenn die Kleefelder in Blüte stehen.
    »Sagen Sie,« fragte er, »wenn ich keine Strafen habe, wird man nach zwei Jahren mir auf einen Monat Urlaub geben?«
    Etienne sprach von der Provinz, die er noch als Knabe verlassen hatte. Der Tag wurde immer heller, Schneeflocken begannen unter dem erdfahlen Himmel zu wirbeln. Er ward schließlich von Unruhe ergriffen, als er Johannes bemerkte, der im Gestrüpp herumkroch, ganz erstaunt darüber, ihn dort oben zu sehen. Der Knabe winkte ihm herunterzukommen. Was nützte auch der Traum, mit den Soldaten zu fraternisieren? Jahre und Jahre wären dazu notwendig; sein vergeblicher Versuch machte ihn trostlos, als ob er auf einen Erfolg gerechnet hätte. Doch plötzlich verstand er die Handbewegung Johannes; man kam die Schildwache ablösen. Er ging eilends seiner Wege, um sich wieder in der Réquillartgrube zu vergraben, wieder einmal tief bekümmert über die Sicherheit der Niederlage; während der Knabe neben ihm herlaufend, diesen schmutzigen »Gamaschenknopf« von einem Offizier beschuldigte, dem Wachtposten zugerufen zu haben, daß er auf sie schieße.
    Julius stand unbeweglich auf dem Gipfel des Hügels, hinausstarrend in den dicht fallenden Schnee. Der Sergeant näherte sich mit seinen Leuten; die vorschriftsmäßigen Rufe wurden ausgetauscht.
    »Wer da? ... Die Losung!«
    Man hörte die schweren Tritte sich entfernen, die hallten wie in Feindesland. Obgleich es immer heller wurde, regte sich nichts in den Dörfern; die Bergleute verzehrten sich in stiller Wut angesichts der Soldaten, die ihnen auf dem Nacken saßen.
     

Zweites Kapitel
    Der Schnee fiel seit zwei Tagen; am Morgen hatte er aufgehört, und jetzt erstarrte ein eisiger Frost das ungeheure Winterfeld; dieses schwarze Land mit den schwarzen Straßen und den mit Kohlenstaub bestreuten

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