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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hinzu. »Eine Dirne, die gesagt hat, meine Frau schlafe mit mir und meinem Mieter zugleich, der eine oben, der andere unten! ... Ja, ja, man hat mir erzählt, du hättest das gesagt!«
    Doch die Pierron bewahrte ihre Ruhe und hielt diesen Schimpfreden stand. In dem Bewußtsein, die Schönste und Reichste unter allen zu sein, verachtete sie die Leute.
    »Was ich gesagt, habe ich gesagt; laßt mich in Frieden! ... Was kümmern euch meine Angelegenheiten? Ihr seid Neidharte, die uns grollen, weil wir Geld in der Sparkasse haben. Ihr könnt sagen, was ihr wollt: mein Mann weiß ganz gut, weshalb Herr Dansaert bei uns war.«
    In der Tat ereiferte sich Herr Pierron und verteidigte seine Frau. Der Streit kehrte sich jetzt gegen ihn; man nannte ihn einen Verräter, einen Spion, einen Spürhund der Gesellschaft; man beschuldigte ihn, daß er sich einsperre, um sich mit den guten Bissen zu mästen, mit denen die Gesellschaft ihm seine Verrätereien vergelte. Er blieb ihnen die Antwort nicht schuldig und behauptete, Maheu habe ihm Drohungen unter der Türe ins Haus geschmuggelt: zwei gekreuzte Knochen mit einem Dolch darüber. Die Geschichte endigte notwendigerweise mit einer Prügelei der Männer untereinander wie alle Weiberzänkereien, seitdem der Hunger die Sanftesten wütend machte. Maheu und Levaque hatten sich mit Faustschlägen auf Pierron geworfen, und man mußte sie trennen.
    Als die Brulé aus dem Waschhause ankam, floß das Blut in Strömen aus der Nase ihres Schwiegersohnes. Wie man sie von den Vorgängen unterrichtete, sagte sie bloß:
    »Dieses Schwein entehrt mich.«
    Die Straße ward wieder menschenleer; kein Schatten befleckte die kahle Weiße des Schnees; das Dorf versank wieder in eine Kirchhofstille und hungerte bei einer bis ans innerste Mark gehenden Kälte.
    »Ist der Arzt gekommen?« fragte Maheu die Türe schließend.
    »Er ist nicht gekommen«, erwiderte sein Weib, noch immer am Fenster stehend.
    »Und sind die Kinder heimgekehrt?«
    »Sie sind nicht heimgekehrt.«
    Maheu nahm seinen schweren Gang von einer Mauer zur andern wieder auf, wütend wie ein zu Tode getroffener Ochse. Vater Bonnemort saß steif und starr auf seinem Stuhl, ohne auch nur den Kopf zu heben. Auch Alzire sagte nichts und beherrschte sich, um nicht zu zittern und ihre Eltern dadurch zu betrüben. Aber trotz ihres Mutes zitterte sie von Zeit zu Zeit so stark, daß man das Beben ihres mageren, gebrechlichen Körpers unter der Decke wahrnehmen konnte, während sie mit ihren großen, offenen Augen an der Zimmerdecke den fahlen Widerschein der weißen Gärten betrachtete, der die Stube wie ein Mondschein beleuchtete.
    Es war der letzte Todeskampf; das Haus war vollständig kahl, der äußersten Not anheimgefallen. Nachdem sie die Wolle der Matratzen zur Trödlerin getragen, ließen sie die Leintücher denselben Weg gehen; dann folgte die Wäsche und alles, was nur verkäuflich war. Eines Abends hatte man ein Schnupftuch des Großvaters um zwei Sous verkauft. Tränen wurden vergossen, sooft man sich von einem Stück Hausrat trennen mußte; die Mutter jammerte noch immer, weil sie eines Tages genötigt war, in ihrer Schürze die Schachtel von rosa Kartonpapier -- das einstige Geschenk ihres Mannes -- wegzutragen, wie man ein Kind wegtragen würde, um sich seiner unter einem Haustor zu entledigen. Sie waren nackt; sie hatten nichts mehr zu verkaufen als ihre Haut, und auch diese war schon so erbärmlich elend, daß kein Mensch einen Heller dafür gegeben hätte. Sie gaben sich denn auch keine Mühe mehr, etwas zu suchen; sie wußten, daß es nichts mehr gebe, daß alles zu Ende sei, daß sie weder auf eine Kerze hoffen konnten, noch ein Stück Kohle, noch eine Kartoffel; und sie erwarteten den Tod; es bekümmerte sie nur wegen der Kinder; sie waren empört wegen der unnützen Grausamkeit, eine Krankheit über die Kleine gebracht zu haben, ehe sie sie erdrosselten.
    »Endlich ist er da!« sagte Frau Maheu.
    Ein schwarzer Schatten huschte am Fenster vorüber. Die Tür ward geöffnet. Aber es war nicht der Doktor Vanderhaghen; sie erkannten den neuen Pfarrer Abbé Ranvier, der nicht überrascht schien, das Haus so tot zu finden, ohne Licht, ohne Feuer, ohne Brot. Er kam schon aus drei Nachbarhäusern, ging von Familie zu Familie, um bereitwillige Arbeiter anzuwerben, wie Dansaert mit seinen Gendarmen es tat; er erklärte sich denn auch sogleich mit seiner fieberhaft erregten Sektiererstimme.
    »Warum seid ihr am Sonntag nicht zur Messe

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