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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Gesellschaft.
    Dennoch stieß sie einen Freudenruf aus, als sie wieder die Tür aufgehen sah. Aber ihre Arme sanken herab; sie blieb mit düsterem Antlitze stehen.
    »Guten Abend«, sagte Etienne halblaut, nachdem er die Türe sorgfältig geschlossen.
    Oft kam er so unter dem Schutze des nächtlichen Dunkels. Die Maheu hatten schon am zweiten Tage Kenntnis von seinem Schlupfwinkel erlangt. Aber sie bewahrten das Geheimnis; niemand im Dorfe wußte, was aus dem jungen Manne geworden. Dieses Geheimnis umgab ihn wie eine Legende. Man fuhr fort, an ihn zu glauben; geheimnisvolle Gerüchte waren in Umlauf. Er werde mit einer Armee und mit goldgefüllten Kassen erscheinen. Es war noch immer die inbrünstige Erwartung eines Wunders, das zur Wirklichkeit gewordene Ideal, der plötzliche Einzug in die Stadt der Gerechtigkeit, die er ihnen verheißen hatte. Die einen behaupteten, sie hätten ihn in einer Kalesche in Gesellschaft von drei Herren auf der Straße nach Marchiennes fahren gesehen; andere versicherten, er habe nur noch zwei Tage in England zu bleiben. Aber mit der Zeit kam das Mißtrauen; einzelne Spaßvögel beschuldigten ihn, daß er sich in einem Keller verborgen halte, wo die Mouquette ihn wärme; denn dieses sein Verhältnis war bekannt geworden und hatte ihm geschadet. In seiner Volkstümlichkeit war langsam eine Erkaltung gegen ihn eingetreten, es war das dumpfe Vorwärtsdrängen der Überzeugten, die von Verzweiflung ergriffen wurden, und deren Zahl allmählich zunehmen mußte.
    »Welch ein Hundewetter!« fügte er hinzu. »Und bei euch nichts Neues? Geht's immer schlecht und schlechter? Man hat mir gesagt, daß der kleine Negrel nach Belgien gegangen sei, um Leute aus dem Borinage anzuwerben. Wenn das wahr ist, sind wir verloren.«
    Ein Frösteln hatte ihn ergriffen, als er in diese eiskalte, dunkle Stube trat, wo seine Augen sich erst gewöhnen mußten, bis er die Unglücklichen sah, deren Anwesenheit er bisher nur nach den tiefern Schatten vermutet hatte. Er fühlte das Widerstreben, das Mißbehagen des Arbeiters, der über seiner Klasse steht, durch das Studium verfeinert, durch den Ehrgeiz angespornt. Welches Elend! Und dieser Geruch und diese Leiber auf einem Haufen und das furchtbare Mitleid, welches ihm die Kehle zusammenschnürte! Der Anblick dieses Todeskampfes verstörte ihn in dem Maße, daß er nach Worten suchte, um ihnen die Unterwerfung anzuraten.
    Doch Maheu hatte sich heftig vor ihn hingestellt und schrie:
    »Leute aus dem Borinage! Das werden die Kerle nicht wagen! Wenn sie ihre Gruben verwüstet sehen wollen, müssen sie nur belgische Arbeiter anfahren lassen!«
    Etienne erklärte mit verlegener Miene, man könne sich nicht rühren; die Soldaten, welche die Gruben bewachten, würden auch die Anfahrt der belgischen Arbeiter sichern. Maheu ballte die Fäuste, besonders darüber aufgebracht -- wie er sagte -- daß man diese Bajonette im Rücken habe. Waren denn die Bergleute nicht mehr Herren im eigenen Hause? Behandelte man sie als Galeerensträflinge, indem man sie mit geladenen Gewehren zu arbeiten zwang? Er liebte seine Grube, und es verursachte ihm schweren Kummer, daß er seit zwei Monaten nicht mehr angefahren war. Darum ward ihm rot vor den Augen bei dem Gedanken an diesen Schimpf, an diese Fremden, mit deren Anfahrt man drohte. Wenn er sich erinnerte, daß man ihm sein Arbeitsbuch zurückgestellt, brach ihm das Herz.
    »Ich weiß übrigens nicht, weshalb ich zornig werde«, murmelte er. »Ich gehöre doch ihrer Baracke nicht mehr an ... Wenn sie mich von hier vertrieben haben, kann ich auf der Heerstraße verrecken.«
    »Laß gut sein«, sagte Etienne. »Wenn du willst, nehmen sie morgen dein Arbeitsbuch wieder. »Man entläßt die guten Arbeiter nicht.«
    Er unterbrach sich erstaunt, weil er Alzire in ihrem Fieberdelirium leise kichern hörte. Er hatte bisher nur den steifen Schatten des Vaters Bonnemort bemerkt, und die Heiterkeit dieses kranken Kindes entsetzte ihn. Es war zuviel des Elends, wenn schon die Kleinen zugrunde gingen. Mit zitternder Stimme entschloß er sich endlich zu sagen:
    »Hör' einmal, das kann nicht länger dauern ... wir müssen uns ergeben.«
    Frau Maheu, bisher unbeweglich und still, brach mit einemmal los, schrie ihm ins Gesicht, duzte ihn und fluchte wie ein Mann.
    »Was sagst du? ... Du sagtst das? Himmelherrgott!«
    Er wollte ihr Gründe anführen, aber sie ließ ihn nicht zu Worte kommen.
    »Sag' es nicht noch einmal, oder ich fahre dir mit den fünf

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