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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Verzimmerung, jeden Vorsprung der Bergwand kennen. Der junge Mann litt auch durch den rutschigen Boden, der immer nasser wurde. Zuweilen kam er durch wahre Pfützen, deren Vorhandensein nur durch, das klatschende Geräusch der Füße verraten wurde. Doch hauptsächlich setzte ihn in Erstaunen der plötzliche Temperaturwechsel. Am Grunde des Schachtes war es sehr kühl, und in dem Abfuhrstollen, wo alle Luft der Grube ihren Durchzug hatte, wehte ein eisiger Wind, der zwischen den engen Mauern zu einem heftigen Sturme anschwoll. Je mehr man indes die anderen Wege einschlug, die nur eine spärliche Lüftung hatten, fiel der Wind und stieg die Wärme bis zu einer bleischweren, erstickenden Schwüle.
    Maheu hatte den Mund nicht mehr geöffnet. Er bog rechts in einen neuen Stollen ein und sagte bloß zu Etienne, ohne sich umzuwenden:
    »Der Wilhelmstollen.«
    In diesem Stollen war ihr Bau. Gleich nach den ersten Schritten stieß Etienne überall mit dem Kopfe und den Ellbogen an. Die abschüssige Decke senkte sich so tief hernieder, daß er in einer Länge von zwanzig bis dreißig Metern auf den Knien fortrutschen mußte. Das Wasser reichte ihm bis zu den Knöcheln. So hatte man einen Weg von etwa zweihundert Metern zurückgelegt, als er plötzlich Zacharias, Levaque und Katharina verschwinden sah, die durch einen schmalen Spalt, den er vor sich sah, entschlüpft zu sein schienen.
    »Jetzt gilt's emporzuklettern«, sagte Maheu. »Hängen Sie die Laterne in ein Knopfloch und halten Sie sich an der Verzimmerung fest.«
    Da verschwand auch er selbst. Etienne mußte ihm folgen. Dieser Kamin in der Ader war für die Arbeiter freigelassen und diente als Zugang für alle Seitenwege. Er hatte die Dichtigkeit der Kohlenschichte, kaum sechzig Zentimeter. Glücklicherweise war der junge Mann von schmächtiger Figur; denn ungeschickt, wie er noch war, rang er sich mit einem überflüssigen Aufwande von Muskelkräften empor, Schultern und Hüften einziehend, an die Hölzer der Verzimmerung sich klammernd, mit Hilfe der aufgestemmten Handknöchel vorwärts strebend. Fünfzehn Meter weiter oben fand man den ersten Seitengang; doch sie mußten weiter, denn der Schlag von Maheu und Genossen befand sich im sechsten Gange, in der »Höhle«, wie sie sagten. Von fünfzehn zu fünfzehn Metern lag ein Gang über dem andern; der Aufstieg wollte kein Ende nehmen durch diesen Spalt, der Rücken und Brust abschürfte. Etienne keuchte, als habe das Gewicht der Felsen ihm die Glieder zermalmt; seine Hände waren zerrissen, seine Beine todmüde, und vor allem fehlte es ihm an Luft, so daß er das Gefühl hatte, als wolle das Blut ihm die Haut sprengen. In einem Seitenwege sah er undeutlich zwei Geschöpfe hocken, ein kleines und ein dickes, die Hunde schoben; es waren Lydia und die Mouquette, schon bei der Arbeit. Er hatte noch, zwei Schläge zu erklettern. Der Schweiß blendete ihn; er verzweifelte daran, die anderen zu erreichen, deren gelenkige Glieder er an dem Felsen dahingleiten hörte.
    »Mut, wir sind zur Stelle«, hörte er Katharina sagen.
    Doch als er tatsächlich an Ort und Stelle war, rief eine andere Stimme aus der Tiefe des Schlages heraus:
    »Was ist's denn? Wollt ihr uns etwa zum besten halten? Ich komme von Montsou, habe zwei Kilometer zurückzulegen und bin der erste am Platze!«
    Es war Chaval, ein großer, magerer Mensch von fünfundzwanzig Jahren, knochig, mit scharf ausgeprägten Zügen. Er ärgerte sich, weil man ihn hatte warten lassen.
    Als er Etienne bemerkte, fragte er im Tone der Überraschung und Geringschätzung:
    »Wer ist denn das?«
    Als Maheu ihm die Geschichte erzählt hatte, brummte er zwischen den Zähnen:
    »So? Die Burschen essen jetzt das Brot der Dirnen?«
    Die beiden Männer tauschten einen Blick aus, in dem der instinktive Haß plötzlich aufflammte. Etienne hatte den Schimpf empfunden, ohne die Bemerkung recht zu verstehen. Es herrschte Stille, und alle gingen an die Arbeit. Die Adern füllten sich allmählich, man war bei allen Schlägen in voller Tätigkeit, in jedem Stockwerk, am Ende eines jeden Minenganges. Der gefräßige Schacht hatte seine tägliche Ration Menschen verschlungen, nahezu siebenhundert Arbeiter, die jetzt in diesem riesigen Ameisenbau arbeiteten und die Erde von allen Seiten durchlöcherten, daß sie aussah wie altes wurmstichiges Holz. Wenn man inmitten der bedrückenden Stille, die hier unter den tiefen Schichten herrschte, das Ohr an den Felsen legte, konnte man die Arbeit dieser in

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