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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hineinzugehen; allein er wehrte sich und sagte, daß seine Pferde ihr Futter haben wollten und sich wenig um die Revolution kümmerten. Überdies liege unten ein totes Pferd, und man warte nur auf ihn, um es hinaufzuschaffen. Etienne befreite den alten Stallwärter aus den Händen der Bergleute, und die Soldaten ließen Mouque hinein. Eine Viertelstunde später -- die Schar der Ausständigen war inzwischen immer größer geworden und hatte eine drohende Haltung angenommen -- öffnete sich ein breites Tor im Erdgeschosse, und es erschienen Männer, die das tote Tier auf einem Karren herausführten, eine trübselige Last noch in dem Stricknetz, in dem sie heraufbefördert worden. Sie luden das Aas ab und ließen es mitten in den Pfützen von geschmolzenem Schnee liegen. Die Szene rief eine solche Bewegung hervor, daß man die Arbeiter nicht hinderte, zurückzukehren und das Tor wieder zu verrammeln. Alle hatten das Tier an seinem Kopf erkannt, der jetzt steif nach der Seite hing.
    »Es ist Trompete! Es ist Trompete!« ging es flüsternd durch die Menge.
    Es war in der Tat Trompete. Das Pferd hatte sich an das Leben in der Grube nicht gewöhnen können. Es war stets verdrossen, unlustig bei der Arbeit, gleichsam von der Sehnsucht nach dem Lichte gequält. Es war vergebens, daß Bataille -- der Grubenälteste -- sich freundschaftlich an Trompete rieb und ihm den Hals beleckte, um etwas von seiner Ergebung in seine zehn Jahre Grubenleben dem Kameraden einzuflößen. Diese Liebkosungen vermehrten nur seine Trauer; seine Haare zitterten bei den Vertraulichkeiten des Schicksalsgenossen, der in der Finsternis alt geworden. Sooft die beiden Tiere einander begegneten und schnoben, schienen sie sich ihr Leid zu klagen, der Alte, weil er so weit gekommen, sich gar nicht mehr zu erinnern, der Junge, weil er nicht vergessen konnte. Im Stalle waren sie Raufennachbarn und lebten mit gesenkten Köpfen dahin, sich einander in die Nüstern blasend, in einem fortwährenden Austausch ihres Traumes vom Licht, von grünen Matten, von weißen Straßen, von goldiger Sonnenhelle am unendlichen Horizont. Als Trompete, mit Schweiß bedeckt, auf seiner Streu im Todeskampfe lag, beroch ihn der Kamerad in trübseliger Stimmung mit kurzem Schnuppern, das einem Schluchzen glich. Er fühlte ihn erkalten; die Grube nahm ihm seine letzte Freude, diesen aus der Höhe gekommenen Freund, der frisch und wohlriechend, ihn an die schönen Tage seiner im Freien verbrachten Jugend erinnerte. Als er merkte, daß der andere sich nicht mehr rührte, wieherte er entsetzt auf und zerriß die Halfterleine.
    Mouque hatte übrigens schon seit acht Tagen den Oberaufseher von der Sache benachrichtigt. Doch in diesem Augenblicke kümmerte man sich wenig um ein krankes Pferd. Die Herren sahen ungern einen Pferdewechsel; jetzt mußte man sich aber doch entschließen, das tote Pferd hinaufzuschaffen. Am vorhergegangenen Tage hatte der Stallwärter, von zwei Arbeitern unterstützt, eine Stunde damit zugebracht, Trompete mit dem Stricknetz festzubinden. Dann ward Bataille vorgespannt, um das Tier bis zum Aufzugsschachte zu schaffen. Langsam zog das alte Pferd an und schleppte den toten Kameraden durch eine Galerie, die so eng war, daß er zuweilen gewaltsam anzerren mußte, auf die Gefahr hin, den toten Gefährten zu schinden. Erschöpft bewegte er den Kopf, als er das andauernde schleifende Geräusch dieser Masse hörte, die vom Schinder erwartet wurde. Als Bataille im Aufnahmesaale losgespannt wurde, folgte er mit seinen trüben Augen den Vorbereitungen zur Hinaufbeförderung, wie der Körper oberhalb der Senkgrube auf Rollen geschoben und dann das Netz unter der Schale befestigt wurde. Endlich gaben die Verlader das Zeichen; Bataille hob den Kopf, um mit anzusehen, wie der Kamerad auffuhr, zuerst langsam, dann plötzlich in der Finsternis verschwindend, für immer dem schwarzen Loche entrinnend. Er blieb eine Weile mit ausgestrecktem Halse dastehen; sein wackeliges Tiergedächtnis erinnerte sich vielleicht der irdischen Dinge. Doch es war aus; der Kamerad werde nichts mehr sehen. Er selbst werde zu einem so jämmerlichen Paket zusammengeschnürt werden an dem Tage, da man ihn durch diesen Schlund hinaufschaffe. Seine Beine begannen zu zittern; die frische Luft, die von den fernen Gefilden kam, erstickte ihn, und er war wie berauscht, als er plump und schwerfällig nach dem Stalle zurückkehrte.
    Im Werkshofe standen die Bergleute in ernster Stimmung vor Trompetes Leiche.

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