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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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dann die Kinder auszubeuten! Es ist genug; lieber will ich euch alle zwischen vier Brettern hinaustragen sehen, wie den, der schon von hinnen ist.«
    Nach ihrem langen Stillschweigen machte sich jetzt ihr Zorn in einer Flut von Worten Luft. Was Katharina bringen könnte, würde ihr wenig nützen: kaum dreißig Sous, zu denen noch zwanzig Sous hinzukämen, wenn die Vorgesetzten für den Banditen Johannes irgendeine Arbeit fänden. Fünfzig Sous und sieben Mäuler zu stopfen! Die kleinen Kinder waren nur dazu gut, Suppe zu fressen. Beim Großvater müsse bei seinem Fall etwas im Gehirn gerissen sein, denn er scheine ganz schwachsinnig; oder es habe ihn der Schlag gerührt, als er die Soldaten auf die Kameraden schießen sah.
    »Nicht wahr, Alter, sie haben euch vollends heruntergebracht? Es nützt euch nichts, daß ihr noch starke Fäuste habt; ihr seid ›fertig‹.«
    Bonnemort schaute sie mit seinen erloschenen Augen an, ohne zu verstehen. Er verharrte so stundenlang mit starren Blicken; er hatte nur noch soviel Verstand, in eine mit Sand gefüllte Platte zu speien, die man der Reinlichkeit halber neben ihr hingestellt hatte.
    »Sie haben auch seine Pension nicht geregelt,« fuhr sie fort; »ich bin überzeugt, sie werden wegen unseres Verhaltens ihm seine Altersversorgung vorenthalten. Nein, es ist zuviel mit diesen Unglücksmenschen! ...«
    »Aber,« fiel Katharina ein, »sie versprechen doch auf dem Anschlagzettel ...«
    »Laß mich in Frieden mit dem Anschlagzettel ... Das ist wieder nur ein Köder, um uns zu fangen und aufzufressen. Sie können jetzt die guten Leute spielen, nachdem sie uns die Haut durchlöchert haben.«
    »Aber wo gehen wir dann hin, Mutter? Man wird uns sicher nicht im Dorfe behalten...«
    Die Maheu machte eine ungewisse, furchtbare Gebärde. Wohin sie gehen würden? Sie wußte es nicht und dachte auch nicht daran, denn es raubte ihr den Verstand. Sie würden anderswohin, irgendwohin gehen. Da der Lärm mit der Schüssel zu arg wurde, fiel sie über die Kleinen her und prügelte sie. Estelle, die schon auf allen Vieren kroch, fiel jetzt, und ihr Geschrei vermehrte noch den Lärm. Die Mutter schrie sie an, um sie still zu machen. Welch ein Glück wäre es gewesen, wenn die Kleine sich zu Tode gefallen hätte! Sie sprach von Alzire und wünschte den anderen Kindern dasselbe Schicksal. Dann plötzlich brach sie in Schluchzen aus und weinte -- den Kopf an die Wand gelehnt -- lange für sich hin.
    Etienne stand mitten in der Stube; er hatte nicht den Mut sich einzumengen. Er galt im Hause nichts mehr; selbst die Kinder wichen mißtrauisch vor ihm zurück. Aber die Tränen dieses unglücklichen Weibes bedrückten ihm das Herz.
    »Mut, Mut!« sagte er tröstend. »Wir werden suchen, wieder in Ordnung zu kommen.«
    Sie schien ihn nicht zu hören und fuhr in ihrer leisen Klage fort.
    »Ist's denn möglich? Vor diesen Schreckensgeschichten ging es noch. Man aß sein trockenes Brot, aber man war doch beisammen... Was ist denn geschehen?... Was haben wir getan, daß so schweres Leid über uns gekommen ist? Daß die einen unter der Erde liegen und die anderen nichts sehnlicher wünschen, als ebenfalls dahin zu kommen?... Man spannte uns wie Pferde vor die Arbeit; es war keine gerechte Teilung, daß wir die Stockstreiche empfingen, das Vermögen der Reichen vermehren halfen ohne Hoffnung, jemals etwas Gutes zu genießen. Man hat keine Lust zu leben, wenn man keine Hoffnung mehr hat. Ja, es konnte so nicht länger dauern; man mußte ein wenig Luft schöpfen... Und doch, wenn man gewußt hätte! Ist es möglich, daß man so unglücklich werden kann, weil man die Gerechtigkeit gewollt hat!«
    Seufzer schwellten ihr die Kehle, ihre Stimme erstarb in einer unendlichen Trauer.
    »Immer sind Schlauköpfe da, die einem versprechen, daß noch alles in Ordnung kommen kann, wenn man sich nur die Mühe gibt... Man setzt sich allerlei Dinge in den Kopf und leidet soviel durch das, was ist, daß man nach dem verlangt, was nicht ist. Ich träumte schon wie ein Tier; ich sah ein Leben der Freundschaft mit aller Welt; ich schwebte in der Luft zu den Wolken empor. Da stürzt man in den Dreck und zerbricht sich die Knochen. Das Elend kam, mehr als man wollte, und Flintenschüsse dazu...
    Etienne hörte dieses Wehklagen mit an, und jede Träne ging ihm an das Gewissen. Er wußte nicht, was er sagen sollte, um Frau Maheu zu beruhigen, die ganz gebrochen war durch ihren furchtbaren Sturz aus der Höhe des Ideals. Sie war

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