Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Verzeihung, und das genügte.
    »Ich will arbeiten; das ist mein Gedanke... Wir wollen uns geräuschlos ankleiden!«
    Mit großer Behutsamkeit kleideten sie sich in der finstern Schlafstube an. Sie hatte am vorhergehenden Abend im geheimen ihre Grubenkleidung vorbereitet; er holte aus dem Schrank eine Jacke und eine Hose; sie wuschen sich nicht, um nicht mit der Schüssel Geräusch zu machen. Alle schliefen; aber sie mußten den engen Gang durchschreiten, wo die Mutter ihr Lager hatte. Sie hatten das Unglück, an einen Sessel zu stoßen; die Mutter erwachte und fragte schlaftrunken:
    »Wer ist's?«
    Katharina war zitternd stehen geblieben und drückte heftig Etiennes Hand.
    »Ich bin's, beunruhigen Sie sich nicht«, sprach dieser. »Mir ist zu heiß, ich muß ein wenig frische Luft schöpfen.«
    »Gut, gut.«
    Frau Maheu schlief wieder ein. Katharina wagte sich nicht zu rühren. Endlich ging sie in die Wohnstube hinunter und teilte da eine Butterschnitte, die sie von einem Brote, das eine Dame aus Montsou geschenkt, zurückbehalten hatte. Dann schlossen sie sachte die Tür und gingen fort.
    Suwarin war bei einer Wegkrümmung in der Nähe des Wirtshauses »Zum wohlfeilen Trank« stehen geblieben. Seit einer halben Stunde beobachtete er, wie die Bergleute zur Arbeit zurückkehrten, undeutlich im nächtlichen Dunkel, mit dem dumpfen Getrappel einer Herde ihres Weges ziehend. Er zählte sie wie der Metzger am Eingange des Schlachthauses die Tiere zählt; ihn überraschte ihre Zahl; er hatte selbst in seinem Pessimismus nicht vorausgesehen, daß die Zahl dieser Feiglinge so groß sein könnte. Der Zug dauerte noch immer an. Steif und kühl stand der Maschinist da mit klaren Augen und aufeinander gepreßten Zähnen.
    Doch jetzt fuhr er zusammen. Unter den vorüberziehenden Männern, deren Gesichter er nicht unterscheiden konnte, hatte er einen an seinem Gange erkannt. Er trat näher und hielt ihn an.
    »Wohin gehst du?«
    Etienne war betroffen. Anstatt die Frage zu beantworten, stammelte er:
    »Du bist noch nicht fort?«
    Dann gestand er, daß er zur Grube zurückkehre. Gewiß, er habe geschworen; allein es sei kein Leben, mit verschränkten Armen auf Dinge zu warten, die vielleicht in hundert Jahren kommen würden; er habe überdies seine besonderen Gründe, die ihm veranlaßten, die Arbeit wiederaufzunehmen.
    Bebend hatte Souvarine ihm zugehört; dann packte er ihn bei einer Schulter und stieß ihn zurück in der Richtung nach dem Dorfe.
    »Geh« nach Hause; ich will es, hörst du?«
    Doch als Katharina näher kam, erkannte er auch sie. Etienne wehrte sich und erklärte, er gestatte niemandem, über sein Verhalten zu urteilen. Die Augen des Maschinisten wanderten von dem Mädchen zu dem Kameraden, während er mit einer Gebärde plötzlicher Entmutigung einen Schritt zurücktrat. Wenn ein Mann ein Weib im Herzen hatte, dann war dieser Mann verloren, er mußte sterben. Vielleicht sah er in einer plötzlich auftauchenden Erscheinung seine Geliebte wieder, die in Moskau gehängt worden, dieses letzte Band, das ihn an die Menschen knüpfte; nachdem dieses zerschnitten war, hatte er seine Freiheit über das Leben anderer und sein eigenes Leben gewonnen.
    »Geh!« sagte er einfach.
    Etienne stand einen Augenblick verlegen da und suchte nach einem freundschaftlichen Worte, um nicht so von dem andern zu scheiden.
    »Du reisest?«
    »Ja.«
    »So gib mir die Hand, Alter. Glückliche Reise und keinen Groll!«
    Der andere reichte ihm eine eiskalte Hand. Weder Freund, noch Weib.
    »Also, diesmal ein ernstliches Lebewohl!«
    »Lebewohl!«
    Suwarin, der unbeweglich im Dunkel stand, folgte mit den Blicken Etienne und Katharina, die den Voreuxschacht betraten.
     

Drittes Kapitel
    Um vier Uhr begann die Anfahrt. Dansaert in Person hatte sich im Zimmer des Kontrollbeamten eingefunden, schrieb jeden Arbeiter ein, der sich meldete, und ließ ihm die Grubenlampe reichen. Er nahm alle an ohne Bemerkung und hielt so das in den Anschlagzetteln gegebene Versprechen. Nur als er Etienne und Katharina am Schalter bemerkte, fuhr er auf, ward sehr rot und öffnete den Mund, um diese beiden abzuweisen. Doch er begnügte sich, mit höhnischer Miene zu triumphieren. Ei, ei, selbst der Starke unter den Starken lag am Boden! Die Gesellschaft hatte denn doch auch ihr Gutes; der furchtbare Bezwinger von Montsou kam wieder zu ihr, um Brot von ihr zu verlangen. Etienne nahm stillschweigend seine Lampe und ging mit der Schlepperin zur Einfahrt.
    Hier erst, im

Weitere Kostenlose Bücher