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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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von dieser Gassendirne nichts wissen; nichtsdestoweniger beschäftigte er sich mit ihr und stieß sie heimlich, so daß der neue Beschützer ihm mit einem Tanze drohen mußte, wenn er sie nicht in Ruhe lasse. Sie verschlangen sich mit den Augen; man mußte sie trennen.
    Gegen acht Uhr kam Dansaert, um die Arbeit zu besichtigen. Er schien sehr übler Laune zu sein und zankte mit dem Aufseher: nichts gehe in Ordnung, die Hölzer müßten von Zeit zu Zeit ausgetauscht werden, und das sei keine Arbeit. Dann ging er und kündigte an, daß er mit dem Ingenieur wiederkommen werde. Er erwartet Negrel seit dem Morgen und begriff nicht, wo derselbe bleibe.
    Wieder verfloß eine Stunde. Der Aufseher hatte mit der Wegräumung des Schuttes innehalten lassen und verwendete alle seine Leute dazu, die Decke zu stützen. Auch die Schlepperin und die zwei Stößerjungen rollten die Karren nicht mehr, sondern halfen die Balken herbeischleppen. In dieser Tiefe der Galerie war diese Arbeitergruppe gleichsam auf Vorposten, verloren an diesem äußersten Ende der Grube, ohne Verbindung mit den übrigen Werkplätzen. Drei- oder viermal wandten die Arbeiter die Köpfe, weil sie ferne Geräusche, ein tolles Rennen hörten. Was war's? Es schien, als leerten sich die Gänge, als beeilten sich die Kameraden hinaufzukammen. Doch der Lärm verlor sich wieder in tiefer Stille; sie fuhren fort, Hölzer aufzurichten, betäubt durch die schallenden Hammerschläge. Endlich ging man wieder an die Forträumung des Schuttes, und die Abfuhr begann von neuem.
    Katharina kam gleich von der ersten Fahrt ganz erschreckt zurück und erzählte, daß niemand mehr bei der schiefen Bahn sei.
    »Ich habe gerufen, niemand hat geantwortet. Alle haben Reißaus genommen.«
    Die Bestürzung war eine solche, daß die zehn Männer ihre Werkzeuge wegwarfen, um zu laufen. Der Gedanke, daß sie so tief in der Grube, so fern von der Auffahrt verlassen seien, raubte ihnen schier den Verstand. Sie hatten nur ihre Lampe behalten; sie liefen hintereinander dahin, die Männer, die Kinder, die Schlepperin; und selbst der Aufseher verlor den Kopf und stieß Rufe aus, immer mehr erschreckt durch diese Stille und Verlassenheit der endlosen Galerien. Weshalb begegnete man keiner Seele? Welcher Unfall mochte die Kameraden so hinweggefegt haben? Ihr Entsetzen ward noch gesteigert durch die Ungewißheit der Gefahr, durch die Drohung, die sie fühlten, ohne sie zu kennen.
    Als sie endlich der Auffahrt sich näherten, verlegte ein Strom ihnen den Weg. Das Wasser reichte ihnen bis zu den Knien; sie konnten nicht mehr laufen und durchschritten mühsam das Wasser, mit der Gewißheit, daß eine Minute Verzögerung den Tod bedeute.
    »Donner Gottes! Die Verzimmerung muß geborsten sein!« schrie Etienne. »Ich sagte es ja, daß wir alle die Knochen hier lassen werden!«
    Pierron hatte seit der Einfahrt mit Unruhe gesehen, wie die aus dem Schachte niederprasselnde Flut immer höher stieg. Während er mit noch zwei anderen die Karren zur Beförderung einhängte, blickte er empor und schwere Tropfen fielen ihm ins Gesicht, und die Ohren summten von dem Getöse dort oben. Was ihn noch mehr erzittern ließ, war die Wahrnehmung, daß die Senkgrube unter ihm, das zehn Meter tiefe Loch sich füllte; schon quoll das Wasser zwischen den Eisenplatten des Fußbodens hervor. Dies war ein Beweis, daß die Pumpe nicht mehr genügte, um das Grubenwasser auszuschöpfen; er hörte ordentlich, wie sie ermüdete, wie ihr der Atem ausging. Da benachrichtigte er Dansaert, der wütende Flüche ausstieß und erklärte, man müsse den Ingenieur erwarten. Zweimal erneuerte Pierron seine Warnungen, ohne bei Dansaert etwas anderes als ein verzweifeltes Achselzucken zu erreichen. Das Wasser stieg, was konnte er dagegen tun?
    Jetzt erschien Mouque mit dem Pferde Bataille, um es zur Arbeit zu führen. Er mußte das Tier mit beiden Händen festhalten, denn der alte, schläfrige Gaul bäumte sich plötzlich, streckte den Kopf nach dem Schachte aus und ließ ein todesängstliches Wiehern vernehmen.
    »Was gibt's denn, Philosoph? Was ängstigt dich? ... Ach, weil es regnet? Komm, das geht dich nichts an.«
    Das Tier zitterte am ganzen Körper; er mußte es mit Gewalt zur Abfuhr zerren.
    Fast in demselben Augenblicke, eben als Mouque und Bataille in der Tiefe einer Galerie verschwunden waren, gab es ein Krachen in der Luft, gefolgt von dem andauernden Geräusch eines Falles. Ein Balken der Verdämmung hatte sich losgemacht und fiel

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