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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie wieder in die Höhe gehen. Wenn sie zu hoch gestiegen sind, werden sie durch das stärkere Angebot wieder herabgedrückt ... Das ist das Gleichgewicht der leeren Bäuche, die ewige Verdammnis im Zuchthause des Hungers.«
    Wenn er sich so vergaß und von Dingen sprach, die ihm als einem unterrichteten Sozialisten geläufig waren, standen Etienne und Rasseneur unruhig da, in Verwirrung gebracht durch seine niederschmetternden Behauptungen, auf die sie nichts zu antworten wußten.
    »Hört ihr,« wiederholte er, indem er sie mit seiner gewohnten Ruhe anschaute, »es muß alles zerstört werden, oder der Hunger wird wiederkommen. Ja, die Anarchie, nichts weiter; die Erde muß durch Blut blank gewaschen, durch Feuer gereinigt werden! ... Nachher werden wir sehen.«
    »Der Herr hat ganz recht«, erklärte Frau Rasseneur, die trotz ihrer aufrührerischen Heftigkeit sich sehr höflich zeigte.
    Etienne wollte die Erörterungen nicht fortsetzen, denn er hatte das niederschlagende Gefühl seiner Unwissenheit. Er erhob sich mit den Worten:
    »Gehen wir schlafen. All das wird mich nicht hindern, morgen um drei Uhr aufzustehen.«
    Suwarin biß auf das Ende seiner Zigarette und faßte das Kaninchen zart am Bauche, um es auf den Boden zu setzen. Rasseneur schloß das Haus. Sie trennten sich in aller Stille mit summenden Ohren, die Köpfe gleichsam angeschwollen von den ernsten Fragen, über die sie nachdachten.
    Jeden Abend gab es ähnliche Gespräche in der kahlen Wirtsstube rings um den einzigen Schoppen, bei dem Etienne eine Stunde verweilte. Eine Summe unklarer Gedanken, die in ihm geschlummert hatten, bewegte sich da und gewann an Ausbreitung. Von der Wißbegierde verzehrt, hatte er lange gezögert, Bücher von seinem Nachbar zu entlehnen, der unglücklicherweise nur deutsche und russische Werke besaß. Endlich ließ er sich ein französisches Buch über »Kooperativ-Genossenschaften« leihen -- auch solche Dummheiten -- wie Suwarin sagte. Daneben las Ettenne regelmäßig eine Zeitung, die Suwarin erhielt; es war ein in Genf herausgegebenes anarchistisches Blatt unter dem Titel: »Der Kampf«. Trotz ihrer täglichen Beziehungen fand er übrigens den Russen immer verschlossen mit einer Miene, als sei er ein fahrender Gast in dieser Welt, an die ihn weder Interessen, noch Gefühle, noch irgendwelche Besitztümer knüpfen.
    Um die ersten Tage des Monates Juli verbesserte sich die Lage Etiennes. Inmitten des eintönigen, immer gleichen Grubenlebens war ein Ereignis eingetreten. Die Werkplätze im Wilhelmschachte waren auf Mischgestein geraten, das die Nähe eines tauben Ganges ankündigte. In der Tat stieß man alsbald auf einen solchen; die Ingenieure hatten von seinem Vorhandensein keine Ahnung, trotzdem sie das Erdreich sonst genau kannten. Dieses Ereignis rief in der Grube große Bewegung hervor; man sprach von nichts anderem als von der verschwundenen Kohlenader, die sich ohne Zweifel gesenkt hatte. Die alten Bergleute schnupperten wie gute Hunde auf der Suche nach einer Kohlenader. Aber bis diese gefunden ward, durften die Werkplätze nicht feiern, und die Gesellschaft kündigte an, daß sie neue Schläge versteigern werde.
    Als sie eines Tages aus der Grube kamen, machte Maheu Etienne den Vorschlag, als Häuer in seine Gruppe einzutreten, an Stelle Levaques, der zu einem andern Werkplatze gegangen war. Die Sache war mit dem Ingenieur und mit dem Oberaufseher schon ins reine gebracht, die mit dem jungen Manne sehr zufrieden waren. Etienne beeilte sich, dieses rasche Aufrücken anzunehmen, sehr froh über die wachsende Wertschätzung, die er bei Maheu fand.
    Am Abend gingen sie zusammen nach dem Schachte, um die Ankündigungen zu lesen. Die zur Versteigerung angesetzten Schläge befanden sich in der Filonnierèader, in der Nordgalerie des Voreux. Sie schienen wenig Vorteil zu verheißen; der Bergmann schüttelte den Kopf, als der junge Mann ihm die Bedingungen herablas. Als sie am folgenden Tage hinabgefahren waren und er mit dem jungen Manne die Ader besichtigte, machte er ihn auf ihre große Entfernung von der Fahrkunst aufmerksam, auf das lose, mit Einsturz drohende Erdreich, auf die geringe Dicke der Schicht und auf die Härte der Kohle. Allein es galt zu arbeiten, wenn man essen wollte. Sie erschienen denn auch am folgenden Sonntag bei der Versteigerung, die in der Baracke stattfand, und die in Abwesenheit des Abteilungsingenieurs der Grubeningenieur -- unterstützt vom Oberaufseher -- leitete. Es waren fünf- bis

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