Germinal
der Nachbarn, wo die Weiber miteinander plauderten, sich verschiedene Gegenstände des Hausrates liehen und wiedergaben, wo es ein ewiges Fragen und Antworten gab, wo die Kinder angerufen oder mit einem Klaps auf den Hintern heimgejagt wurden. Sie lebten übrigens seit drei Wochen auf gespanntem Fuße mit der Familie Levaque; die Ursache war die Angelegenheit der Heirat zwischen Zacharias und Philomene. Die Männer verkehrten wohl miteinander; die Frauen aber taten, als kennten sie einander nicht. Diese Entzweiung hatte die Beziehungen zu Frau Pierron noch enger gestaltet. Heute hatte Frau Pierron die Sorge für ihren Mann und für Lydia ihrer Schwiegermutter überlassen und war am frühen Morgen nach Marchiennes gegangen, um den Tag bei einer Base zuzubringen. Darüber ward viel Spaß getrieben, denn man kannte die Base: sie hatte einen Schnurrbart und war Oberaufseher im Voreuxschachte. Frau Maheu erklärte, es sei nicht anständig, an einem solchen Festtage seine Familie im Stiche zu lassen.
Außer dem Kaninchen, das die Familie Maheu seit einem Monat im Schuppen gemästet hatte, gab es heute noch eine Fleischbrühe und Rindfleisch zu Tische. Der Halbmonatslohn war gestern fällig geworden. Seit Menschengedenken hatte man nicht so herrlich gespeist. Selbst am letzten Barbarafeste, der großen Feier der Bergleute, die immer ein dreitägiges Nichtstun mit sich bringt, war das Kaninchen nicht so fett und zart gewesen. Die zehn Paar Kinnladen -- angefangen bei der kleinen Estelle, deren Zähne schon zum Vorschein kamen, bis zum alten Bonnemort, der die seinen schon zu verlieren begann -- arbeiteten denn auch mit einem solchen Eifer, daß selbst die Knochen verschwanden. Das Fleisch war gut, aber sie verdauten es schwer, weil sie nur selten welches aßen. Alles wurde weggeputzt; es blieb nichts übrig als ein Stück Rindfleisch für den Abend; sollte man Hunger haben, werde man Butterbrot dazu essen.
Johannes verschwand zuerst. Bebert erwartete ihn hinter der Schule. Sie schlichen da lange herum, bis es ihnen gelang, Lydia mitzulocken, welche die Brulé zu Hause behalten wollte. Als sie die Flucht des Kindes gewahr wurde, heulte sie und fuchtelte mit den mageren Armen, während Pierron, dieses Getöses überdrüssig, ruhig spazierenging mit der Miene eines Gatten, der sich ohne Gewissensbisse der Unterhaltung hingibt, weil er weiß, daß auch seine Frau ihr Vergnügen hat.
Als zweiter brach Vater Bonnemort auf; dann entschloß sich auch Maheu, ins Freie zu gehen, nachdem er seine Frau gefragt, ob sie nachkommen werde. Nein, sie konnte nicht; es sei eine rechte Last mit den kleinen Kindern; vielleicht werde sie sich es noch überlegen, man werde sich schon wiederfinden. Als er draußen war, zögerte er eine Weile, dann trat er bei den Nachbarn ein, um zu sehen, ob Levaque bereit sei. Hier fand er Zacharias, der auf Philomene wartete. Die Levaque begann sogleich die ewige Klage wegen der Hochzeit; man halte sie zum besten, schrie sie, und sie werde sich noch ein letztes Mal mit der Maheu auseinandersetzen. Sei das ein Leben, die vaterlosen Kinder der Tochter bei sich zu haben, während diese sich mit dem Liebhaber herumwälze! Inzwischen hatte Philomene ruhig ihre Haube aufgesetzt, und Zacharias führte sie hinweg, indem er erklärte, er sei bereit zu heiraten, wenn seine Mutter einwillige. Levaque war übrigens schon fort; Maheu wies die Nachbarin an seine Frau und beeilte sich gleichfalls fortzukommen. Bouteloup, der mit beiden Ellbogen auf dem Tische ein Stück Käse verzehrte, lehnte hartnäckig einen ihm angebotenen Schoppen Bier ab. Er bleibe zu Hause, wie es sich für einen guten Ehemann gezieme.
Allmählich leerte sich das Dorf; die Männer gingen fort, einer nach dem andern. Die Mädchen spähten auf den Türschwellen nach ihren Liebsten aus und schlugen an ihrem Arm in einer andern Richtung den Weg nach Montsou ein. Als Katharina ihren Vater um die Ecke der Kirche biegen sah, beeilte sie sich, Chaval einzuholen, der sie gleichfalls nach Montsou führte. Als die Mutter mit ihren Kleinen allein geblieben war, hatte sie nicht die Kraft, sich von ihrem Stuhl zu erheben; sie goß sich ein zweites Glas Kaffee ein, das sie in kleinen Schlucken leerte. Im Dorfe waren nur mehr die Weiber zu Hause, die sich gegenseitig einluden und den letzten Rest des Kaffees an den noch warmen, fettigen Mittagstischen tranken.
Maheu vermutete, daß Levaque bei Rasseneur sein müsse, und begab sich langsamen Schrittes dahin. In der
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