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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich eine andere Geschichte. Johannes, den man ruhig bei der Arbeit in der Grube glaubte, hatte am Montag und Dienstag Reißaus genommen und mit Bebert und Lydia in den Sümpfen und im Walde von Vandame sich herumgetrieben. Er hatte sie ganz verdorben; man erfuhr nie, welchen Gaunerstreichen, welchen Spielen frühreifer Kinder sie sich hingaben. Johannes erhielt eine ausgiebige Züchtigung, eine Tracht Prügel auf den Hintern, die seine Mutter ihm auf der Straße vor den entsetzten Kindern des ganzen Dorfes verabreichte. Habe man jemals so etwas gesehen? Ihre Kinder, die seit ihrer Geburt soviel Geld kosteten und jetzt mit erwerben sollten! In diesem Schrei äußerte sich die Erinnerung an die eigene mühevolle Jugend, an das ererbte Elend, das aus jedem Kinde ein Werkzeug des Erwerbes machte.
    Als an diesem Morgen die Mannsleute und Katharina zur Grube aufbrachen, erhob sich Frau Maheu vom Bette, um Johannes zu sagen:
    »Böser Range, wenn du es noch einmal tust, wirst du geschunden!«
    Auf dem neuen Werkplatze Maheus ging die Arbeit mühselig von statten. Dieser Teil der Filonnièreader wurde immer dünner, in dem Maße, wie die zwischen der Wand und der Decke eingepreßten Häuer sich in dem Schlage die Ellbogen abstießen. Auch wurde es da sehr feucht; man fürchtete von Stunde zu Stunde ein Ersäufen der Ader, einen jener plötzlichen Wasserstürze, die die Felsen sprengen und die Menschen hinwegschwemmen. Erst am vorhergehenden Tage war es geschehen, daß Etienne, als er seine Spitzhacke einsetzte und sie zurückzog, den Wasserstrahl einer Quelle ins Gesicht bekam; es war übrigens nur vorübergehend, der Schlag wurde noch nasser und infolgedessen ungesunder. Er dachte übrigens nicht an die Möglichkeit von Unfällen; er vergaß sich jetzt mit den Kameraden, unbekümmert um die Gefahr. Man lebte sozusagen mitten in den bösen Dünsten, ohne ihren Druck auf die Augenlider zu verspüren und ohne zu merken, wie sie gleich einem Schleier von Spinngewebe sich an die Augenwimpern hängten. Wenn zuweilen die Flammen der Lampen eine bläulichblasse Färbung annahmen, dachte man an die schlagenden Wetter; ein Bergmann legte das Ohr an die Wand, um dem leisen Geräusch des Gases zu lauschen, einem Geräusch von Luftblasen, die bei jeder Spalte quirlten. Doch die ewig drohende Gefahr waren die Einstürze; denn abgesehen von der Unzulänglichkeit der Verholzungen, die immer allzu hastig gemacht wurden, hatte auch das durchfeuchtete Erdreich keinen Halt.
    Dreimal im Laufe des Tages hatte Maheu die Verzimmerung befestigen lassen müssen. Es war halb drei Uhr; die Männer schickten sich zur Auffahrt an. Auf der Seite liegend, beendigte Etienne eben die Lostrennung eines Blockes, als ein fernes, donnerähnliches Getöse die ganze Grube erschütterte.
    »Was ist's?« rief er, die Spitzhacke senkend, um zu lauschen.
    Er hatte geglaubt, die Galerie stürze hinter seinem Rücken ein.
    Doch schon ließ sich Maheu in dem abschüssigen Schlag hinabgleiten, indem er sagte:
    »Es ist ein Einsturz ... Fort! Fort!«
    Alle eilten davon, wie fortgerissen von einem mächtigen Drange besorgter Brüderlichkeit. Die Lampen tanzten in ihren Fäusten, inmitten der Grabesstille, die eingetreten war. Sie eilten auf den Wegen fort mit gekrümmtem Rücken, als liefen sie auf allen Vieren; und ohne ihren Lauf zu verlangsamen, warfen sie einander kurze, hastige Fragen und Antworten zu. Wo denn? Vielleicht in den Schlägen? Nein, es kam von unten, wahrscheinlich bei der Abfuhr. Bei dem Kamin drängten sie sich hinab, fielen einer auf den andern, unbekümmert darum, daß sie sich dabei die Haut abschunden.
    Johannes, dem noch von den gestrigen Prügeln der Hintern rot war, war an diesem Tage nicht durchgegangen. Er lief mit nackten Füßen hinter seinem Zuge einher, schloß die Lüftungstüren eine nach der anderen und stieg zuweilen, wenn er nicht die Begegnung eines Aufsehers fürchtete, auf den letzten Karren, was ihm verboten war, weil man fürchtete, daß er daselbst einschlafen könne. Doch sein großes Vergnügen war, jedesmal, wenn der Zug auswich, um einen andern vorbeizulassen, zu Bebert zu schleichen, der an der Spitze des Zuges war und die Zügel hielt. Ohne Lampe huschte er herbei, zwickte dem Kameraden bis auf das Blut, ersann allerlei boshafte Streiche mit seinen gelben Haaren, langen Ohren und dem schmalen, von grünen Äuglein erhellten Gesichte, die im Dunkel leuchteten. Von einer krankhaften Frühreife schien er den trüben Verstand

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