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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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rechnete im stillen nach; neun Tage zahlten ihm ungefähr dreißig Franken, Katharina achtzehn, Johannes neun. Vater Bonnemort hatte nur drei Tage. Gleichviel, wenn er die zweiundachtzig Franken für Zacharias und die zwei anderen Kameraden hinzunahm, mußte es mehr ausmachen.
    »Und vergeßt die Strafen nicht!« schloß der Beamte. »Zwanzig Franken für schlechte Verholzungen.«
    Der Häuer machte eine verzweifelte Gebärde. Zwanzig Franken Strafe, vier Tage Arbeitsruhe! So stimmte die Rechnung. Wenn er bedachte, daß er Halbmonatslöhne bis zu hundertfünfzig Franken heimbrachte, als Vater Bonnemort noch arbeitete und Zacharias noch nicht verheiratet war!
    »Nehmt ihr das Geld endlich?« rief der Kassier ungeduldig. »Ihr seht doch wohl, daß ein anderer wartet... Wenn Ihr es nicht wollt, sagt es!«
    Als Maheu sich endlich entschloß, mit seiner plumpen, zitternden Hand das Geld aufzulesen, hielt der Beamte ihn zurück.
    »Halt, ich habe Euch noch was zu sagen. Ihr seid wohl Toussaint Maheu?... Der Herr Generalsekretär wünscht mit Euch zu reden. Geht hinein, er ist allein.«
    Der Arbeiter begab sich ganz betäubt in das mit altem Mahagoni möblierte, mit grünem, verschossenen Rips überzogene Arbeitskabinett des Generalsekretärs. Dieser, ein großer, blasser Herr, sprach über die Papiere seines Schreibpultes hinweg, und ohne sich zu erheben, fast fünf Minuten lang zu ihm. Maheu hörte ihm zu, aber seine Ohren summten dermaßen, daß er ihn nicht verstand. Er begriff nur unvollkommen, daß von seinem Vater die Rede sei, der mit hundertundfünfzig Franken pensioniert werden sollte, nach dem Verhältnis eines Lebensalters von fünfzig Jahren und einer Dienstzeit von vierzig Jahren. Dann schien es ihm, als schlage der Generalsekretär einen rauheren Ton an. Es war eine Strafpredigt; man beschuldigte ihn, daß er sich mit Politik befasse; es folgte eine Anspielung auf seinen Mieter und auf die Unterstützungskasse; endlich riet man ihm, daß er als einer der besten Arbeiter der Grube sich nicht in solche Torheiten mengen solle. Er wollte protestieren, konnte aber nur einige zusammenhanglose Worte hervorbringen; er drehte seine Mütze zwischen den fieberhaft erregten Fingern und zog sich zurück, wobei er stammelte:
    »Gewiß, Herr Sekretär... Ich versichere, Herr Sekretär ...«
    Als er draußen Etienne traf, der seiner harrte, brach er los.
    »Ich bin ein Tölpel! Ich hätte ihm antworten sollen!... Kein Brot zu essen und noch Schmähungen dazu... Ja, auf dich hat man es abgesehen. Er sagte mir, du habest das ganze Dorf verpestet. Was soll man tun? Den Nacken beugen und sich schön bedanken. Er hat recht; das ist das Vernünftigste.«
    Maheu schwieg, von Zorn und Furcht ergriffen, Etienne stand nachdenklich mit finsterer Miene da. Abermals durchschritten sie die Gruppen, die den Weg verrammelten. Die Erbitterung wuchs; es war die Erbitterung eines ruhigen Volkes; ein unheilkündendes Murren ohne heftige Gebärden, das furchtbar über dieser schwerfälligen Masse lagerte. Die Wut kehrte sich vornehmlich gegen diese verhängnisvolle Lohnzahlung; es war der Aufruhr des Hungers gegen die Arbeitsruhetage und gegen die Strafen. Man erwarb nicht mehr genug, um zu essen; wie sollte es erst werden, wenn die Löhne noch weiter beschnitten würden? In den Schenken machte sich der Groll in lauten Reden Luft und trocknete dermaßen die Kehlen aus, daß das wenige Geld, das man bekommen hatte, auf den Schanktischen zurückblieb.
    Auf dem Heimwege wechselten Maheu und Etienne kein Wort. Als ersterer in die Stube trat, bemerkte die mit den Kindern allein anwesende Hausmutter sogleich, daß er die Hände leer hatte.
    »Du bist aber gut!« rief sie. »Wo bleibt mein Kaffee, mein Zucker, mein Fleisch? Ein Stück Kälbernes hätte dich auch nicht zugrunde gerichtet.«
    Er antwortete nicht; eine Aufregung, die er nur mit Mühe niederhielt, schnürte ihm die Kehle zu. Dann schwellte die Verzweiflung das rauhe Gesicht dieses durch die Bergarbeit abgehärteten Mannes, und schwere Tränen stürzten aus seinen Augen. Er war auf einen Stuhl hingesunken, weinte wie ein Kind und warf die fünfzig Franken auf den Tisch.
    »Da hast du,« stammelte er; »das ist alles, was ich dir bringe... Das ist unser aller Arbeitslohn.«
    Frau Maheu blickte auf Etienne, der in stummer Niedergeschlagenheit verharrte. Da weinte auch sie. Wie sollen neun Personen zwei Wochen lang von fünfzig Franken leben? Ihr Ältester hatte sie verlassen, der Großvater

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