Germinal
mit seiner furchtbaren Eintönigkeit fort. Man sprach zu dem Sterbenden, man fragte ihn um seinen Namen: das Röcheln war die einzige Antwort.
»Rasch an die ArbeitI« rief Richomne, indem er das Rettungswerk anordnete. »Wir wollen nachher reden.« Von beiden Seiten machten sich die Arbeiter mit Spitzhacke und Schaufel an die Hinwegräumung des Schuttes. Chaval arbeitete wortlos neben Maheu und Etienne, während Zacharias die Fortschaffung des Schuttes leitete. Die Stunde der Ausfahrt war gekommen, noch keiner hatte gegessen; aber man ging nicht zur Suppe, solange Kameraden in Gefahr waren. Indes dachte man daran, daß das Dorf beunruhigt sein werde, wenn man niemanden heimkehren sehe; man schlug vor, die Weiber heimzusenden. Weder Katharina, noch Mouquette, noch auch Lydia wollten sich entfernen; sie waren wie festgenagelt durch das Bedürfnis, zu sehen und zu erfahren, und halfen bei der Fortschaffung des Schuttes. Da übernahm es Levaque, oben zu melden, daß ein Einsturz stattgefunden habe, ein geringfügiger Schade, der sogleich ausgebessert werde. Es war nahezu vier Uhr; die Arbeiter hatten in weniger als einer Stunde das Werk eines Tages vollbracht: die Hälfte des Schuttes wäre schon fortgeschafft gewesen, wenn nicht ein neues Gestein herabgerollt wäre. Maheu arbeitete mit einer solchen Wut, daß er mit einer furchtbaren Gebärde sich weigerte, wenn jemand sich näherte, um ihn einen Augenblick abzulösen.
»Sachte,« sagte Richomne endlich; »wir sind bald daran; gebt acht, daß ihr sie nicht vollends erschlaget.«
In der Tat wurde das Röcheln immer deutlicher vernehmbar. Dieses Röcheln war's, das die Arbeiter bei ihrem Rettungswerke leitete. Jetzt kam es gleichsam unter den Spitzhacken hervor. Plötzlich hörte es auf.
Alle blickten einander mit einem stillen Frösteln an; sie hatten den Hauch des Todes im Dunkel verspürt. Schweißtriefend, die Muskeln bis zum Reißen gespannt, arbeiteten sie weiter. Man stieß jetzt auf einen Fuß, und von da ab wurde die Erde mit den Händen entfernt und so die Glieder allmählich freigemacht. Der Kopf hatte nicht gelitten. Man leuchtete dem Manne ins Gesicht, und der Name Chicot machte die Runde. Er war noch warm; ein abstürzendes Felsstück hatte ihm die Wirbelsäule gebrochen.
»Hüllt ihn in eine Decke ein und legt ihn auf einen Karren«, gebot der Aufseher. »Und dann laßt uns rasch nach dem Jungen schauen.«
Maheu setzte ein letztes Mal die Spitzhacke an und schlug eine Bresche, so daß die Verbindung mit den Männern, die auf der anderen Seite den Schutt wegräumten, hergestellt war. Sie schrien auf; sie hatten Johannes gefunden in bewußtlosem Zustande, mit gebrochenen Beinen, aber noch atmend. Der Vater selbst trug den Kleinen in seinen Armen; zwischen den zusammengepreßten Lippen stieß er unablässig Flüche hervor, um seinem Schmerze Luft zu machen, während Katharina und die anderen Weiber wieder zu heulen begannen.
Rasch ordnete sich der Zug. Bebert hatte das Pferd Bataille wieder hergeführt. Man spannte es vor die zwei Karren; in dem ersten lag die Leiche Chicots, von Etienne festgehalten; in dem zweiten saß Maheu mit Johannes auf den Knien. Der Knabe war noch immer bewußtlos unter einem Stück Wollenzeug, das man von einer Lüftungstür weggerissen hatte. Man trat im Schritte den Marsch an. Auf jedem Karren war eine Laterne, die wie ein roter Stern leuchtete. Hinter den Karren folgten die Grubenarbeiter, etwa fünfzig Schatten in langem Zuge. Die Ermüdung drückte sie nieder, sie konnten sich kaum auf den Beinen halten und glitten in den Pfützen aus; auf der ganzen Gruppe lagerte die düstere Trauer einer von einer Seuche heimgesuchten Herde. Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie bei dem Aufzugssaale ankamen. Dieser traurige Zug, der sich durch die bald rechts, bald links einbiegenden Galerien bewegte, wollte kein Ende nehmen.
Richomme, der vorausgegangen war, hatte den Auftrag gegeben, daß eine leere Aufzugsschale bereit gehalten werde. Pierron hängte sogleich die zwei Karren ein. In dem einen blieb Maheu, mit seinem verwundeten Jungen auf den Knien; in dem anderen hatte Etienne Platz genommen, der die Leiche Chicots in seinen Armen hielt, damit sie nicht herausfalle. Als die übrigen Arbeiter in den anderen Kästen untergebracht waren, stiegen die Schalen empor. Man brauchte zwei Minuten zur Auffahrt. Das Wasser tropfte eiskalt hinter den Verzimmerungen hervor; die Männer schauten ungeduldig empor; es drängte sie, das Tageslicht
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