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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zu sehen.
    Ein Schlepperjunge, den man zum Doktor Vanderhaghen gesendet, hatte diesen glücklicherweise zu Hause gefunden und hergeführt. Johannes und der Tote wurden nach dem Aufseherzimmer geschafft, wo jahraus jahrein ein großes Feuer brannte. Man brachte die Kübel warmen Wassers herbei, die zum Waschen der Füße bereit standen; nachdem man zwei Matratzen auf den Steinplatten ausgebreitet hatte, bettete man den Mann und den Jungen darauf. Nur Maheu und Etienne traten ein. Schlepperinnen, Arbeiter und Gassenjungen, die herbeigeeilt waren, standen draußen in leisem Gespräche beisammen.
    Als der Arzt einen Blick auf Chicot geworfen hatte, murmelte er:
    »Fertig... Ihr könnt ihn waschen.«
    Zwei Wächter entkleideten und wuschen die vom Kohlenstaub schwarze, noch vom Arbeitsschweiße beschmutzte Leiche.
    »Am Kopfe ist nichts,« fuhr der Arzt fort, der jetzt vor Johannes Matratze kniete; »auch an der Brust ist keine Beschädigung wahrzunehmen... Die Beine haben ihr Teil bekommen.«
    Er selbst entkleidete das Kind, machte die Haube los, entfernte den Kittel, zog die Hose und das Hemd ab, alldies mit der Geschicklichkeit einer Amme. Der arme, kleine Körper wurde sichtbar, mager wie ein Käfer, beschmutzt mit schwarzem Staube und gelber Erde, große, blutige Flecke zeigend. Man konnte nichts unterscheiden, man mußte auch ihn waschen. Unter dem Schwamm schien er noch magerer zu werden, und das Fleisch war so fahl, so durchsichtig, daß man die Knochen sah. Es war ein Jammer, diese äußerste Entartung einer Rasse von Elenden, dieses zuckende Nichts, halb zermalmt unter den abgestürzten Felsen. Als der Körper gereinigt war, sah man die Wunden an den Schenkeln, zwei rote Flecke auf der weißen Haut.
    Johannes war aus der Bewußtlosigkeit erwacht und stieß eine Klage aus. Mit hängenden Armen am Fuße der Matratze stehend, betrachtete ihn Maheu, und schwere Tränen rollten aus seinen Augen.
    »Du bist der Vater?« fragte der Doktor aufblickend. »Weine nicht; du siehst wohl, daß er nicht tot ist. Hilf mir lieber.«
    Er stellt zwei einfache Brüche fest; doch das rechte Bein machte ihm Sorge; man werde es sicherlich entfernen müssen, meinte er.
    In diesem Augenblicke kamen der Ingenieur Negrel und der Oberaufseher Dansaert, die man endlich benachrichtigt hatte, mit Richomme an. Der erstere hörte mit trostloser Miene die Erzählung des Aufsehers an. Immer die verwünschten Verzimmerungen! brach er los. Er hatte es hundertmal wiederholt, daß die Leute dabei zugrunde gehen würden. Und die Kerle redeten noch von einem Streik für den Fall, daß man sie zwingen werde, besser zu verzimmern! Das schlimmste sei, daß die Gesellschaft die Schäden zu bezahlen habe. Herr Hennebeau werde sich freuen.
    »Wer ist das?« fragte er Dansaert, der still vor dem Leichnam stand, den man in ein Laken gehüllt hatte.
    »Chicot, einer unserer guten Arbeiter. Er hat drei Kinder ... Armer Kerl!«
    Der Doktor Vanderhaghen forderte, daß Johannes sogleich zu seinen Eltern gebracht werde. Es schlug sechs Uhr, der Abend senkte sich herab; man werde gut tun, auch die Leiche fortzuschaffen. Der Ingenieur erteilte den Befehl, daß der Leichenwagen bespannt und eine Tragbahre herbeigeschafft werde. Das verwundete Kind wurde auf die Tragbahre gelegt, die Matratze mit dem Toten auf den Leichenwagen geladen.
    Vor der Tür standen noch immer Schlepperinnen im Gespräche mit Bergleuten, die aus Neugierde da geblieben waren. Als das Aufseherzimmer geöffnet ward, trat Stille in der Gruppe ein. Dann bildete sich ein neuer Zug, vorauf der Leichenwagen, dahinter die Tragbahre, dann das Geleit der Menschen. Man verließ den Vorhof der Grube und stieg langsam den Weg zum Dorfe hinan. Die ersten Novemberfröste hatten die endlose Ebene kahl gemacht; die Nacht hüllte sie langsam ein wie in ein Leichentuch, das vom fahlen Himmel gefallen.
    Etienne riet im Flüstertone Maheu, er solle Katharina voraussenden, damit sie die Mutter in schonender Weise auf das Unglück vorbereite. Der Vater, der trostlos der Tragbahre folgte, nickte zustimmend, und das Mädchen lief voraus, denn man war schon dem Ziele nahe. Doch die Ankunft des Leichenwagens, dieses wohlbekannten finsteren Kastens, war schon angekündigt. Entsetzte Weiber stürzten aus den Häusern hervor, einige derselben, vor Angst gefoltert, ohne Haube, rannten dem traurigen Zuge entgegen. Ihre Zahl wuchs bald auf dreißig, dann auf fünfzig, alle von dem nämlichen Schrecken erfaßt. Es gab einen

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