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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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konnte nicht mehr die Beine bewegen: da sei man nicht mehr weit vom Hungertode. Alzire warf sich der Mutter um den Hals, ganz trostlos, weil sie sie weinen hörte. Estelle heulte, Leonore und Heinrich schluchzten.
    Im ganzen Dorfe erhob sich alsbald der nämliche Notschrei. Die Männer waren heimgekehrt; jede Familie jammerte angesichts des kärglichen Lohnes. Türen wurden geöffnet, Weiber erschienen auf den Türschwellen und schrien hinaus, als ob ihre Klagen unter den Zimmerdecken der geschlossenen Häuser nicht Platz gehabt hätten. Es fiel ein feiner Regen, aber sie fühlten ihn nicht; sie riefen sich gegenseitig an von Fußsteig zu Fußsteig, und zeigten einander das behobene Geld auf der flachen Hand.
    »Schaut! Das haben sie ihm gegeben. Heißt das nicht die Leute zum besten halten?«
    »Und erst ich! Das gibt nicht einmal trockenes Brot für zwei Wochen.«
    »Und nun gar ich! Zählet das einmal! Ich werde wieder einmal meine Hemden verpfänden müssen.«
    Auch die Maheu war hinausgegangen. Eine Gruppe hatte sich um die Levaque gebildet, die am ärgsten schrie. Ihr Trunkenbold von einem Manne war gar nicht heimgekehrt; sie vermutete, daß der ganze Lohn -- ob viel oder wenig -- im »Vulkan« zerfließen werde. Philomene lauerte Maheu auf, damit Zacharias nichts von dem Gelde ausgebe. Nur Frau Pierron schien ruhig; ihr schlauer Mann wußte es immer so einzurichten -- niemand wußte wie? -- daß er mehr Arbeitsstunden verzeichnet bekam als die anderen. Allein die Brulé fand es feig von ihrem Schwiegersohne; sie gehörte zu den schreienden Weibern, mager und aufrecht inmitten der Gruppe, die Faust drohend gegen Montson ausgestreckt.
    »Wenn man bedenkt,« schrie sie -- ohne die Familie Hennebeau zu nennen -- »daß ich ihre Magd heute morgen in der Kalesche fahren sah! ... Jawohl, die Köchin fuhr in der zweispännigen Kalesche nach Marchiennes, sicherlich um Fische zu kaufen!«
    Das verursachte neues Schreien und Toben. Die Köchin in weißer Schürze, die in der Kalesche ihrer Herrenleute zu Markte fuhr, erregte allgemeine Entrüstung. Während die Arbeiter Hunger litten, mußten die Herren Fische haben! Sie werden vielleicht nicht immer Fische haben: auch die armen Leute kommen einmal an die Reihe. Die von Etienne gesäten Gedanken wuchsen empor und breiteten sich in diesem Schrei der Empörung aus. Es war die Ungeduld angesichts des verheißenenen goldenen Zeitalters, die Eile, seinen Anteil am Glück zu haben, jenseits dieses Horizonts von Elend, der geschlossen war wie ein Grab. Die Ungerechtigkeit ward zu groß; sie würden schließlich ihr Recht fordern, wenn man ihnen das Brot vom Munde nahm. Besonders die Frauen hätten am liebsten sogleich jene ideale Stadt des Fortschrittes gestürmt, wo es keine Armen und Elenden mehr geben würde. Es war fast ganz dunkel, und der Regen fiel mit verdoppelter Heftigkeit, als sie noch immer das Dorf mit ihrem Jammer erfüllten inmitten der kreischenden Kinder, die sich in regellosen Scharen herumtrieben.
    Am Abend desselben Tages wurde in der Schenke »zum wohlfeilen Trunk« der Streik beschlossen. Rasseneur sprach nicht mehr dagegen, und auch Suwarin war einverstanden; es sei damit wenigstens der erste Schritt getan, meinte er. Etienne faßte die Lage in einem Satze zusammen: Wenn die Gesellschaft den Streik wolle, solle sie ihn haben.
     

Fünftes Kapitel
    Eine Woche verfloß; man arbeitete weiter argwöhnisch und verdrossen in der Erwartung des Konfliktes.
    Bei den Maheu kündigte sich der nächste Halbmonat noch düsterer an. Frau Maheu ward denn auch immer verbitterter trotz ihrer sonstigen Mäßigung und Besonnenheit. Ihre Tochter Katharina hatte es sich einfallen lassen, eine Nacht außer dem Hause zuzubringen; am nächsten Morgen war sie matt und krank von diesem Abenteuer heimgekehrt, so daß sie nicht zur Grube anfahren konnte. Sie erzählte weinend, es sei nicht ihre Schuld; Chaval habe sie bei sich behalten und ihr mit Prügeln gedroht, wenn sie nicht bleibe. Er werde rasend vor Eifersucht; er wolle sie hindern, zum Bette Etiennes zurückzukehren, in welchem -- wie er sagte -- die Familie sie schlafen lasse. Die Maheu war wütend. Nachdem, sie ihrer Tochter verboten hatte, diesen Unhold wieder aufzusuchen, sprach sie davon, nach Montsou gehen zu wollen, um ihn da zu ohrfeigen. Es war aber immerhin ein verlorener Tag, und die Kleine zog es vor, da sie einmal diesen Liebhaber hatte, ihn nicht gegen einen andern zu vertauschen.
    Zwei Tage später ereignete

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