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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Vater mich zur Frau nahm. Aber ich bin meinen Eltern nicht durchgegangen; niemals würde ich diese Schmutzigkeit begangen haben, meinen Erwerb einem Manne zuzutragen, der seiner nicht bedurfte ... Das ist ekelhaft! Es wird so weit kommen, daß man keine Kinder mehr macht.«
    Da Etienne noch immer nur mit Kopfnicken antwortete, fuhr sie fort:
    »Ein Mädchen, das jeden Abend gehen konnte, wohin es wollte! Was steckt denn nur in ihr? Nicht warten zu können, bis ich sie verheirate, nachdem sie uns aus der Patsche geholfen hätte. Das wäre doch natürlich gewesen: man hat doch eine Tochter, damit sie arbeitet... Aber wir waren zu gut; wir hätten ihr nicht erlauben sollen, sich mit einem Manne die Zeit zu vertreiben. Man zeigt ihnen den kleinen Finger, und sie wollen die ganze Hand.«
    Alzire nickte mit dem Kopfe. Leonore und Heinrich, erschreckt durch dieses Gewitter, weinten leise, während die Mutter jetzt die Unglücksfälle der Familie aufzählte. Zacharias mußte verheiratet werden; der alte Bonnemort saß mit verkrümmten Beinen auf seinem Sessel; Johannes konnte mit seinen kaum wieder eingerichteten Gliedern vor zehn Tagen die Stube nicht verlassen, und nun der letzte Schlag; die Dirne Katharina geht mit einem Manne durch. Die ganze Familie gehe aus den Fugen; der Vater allein fahre noch zur Grube an. Wie sollten sieben Personen -- Estelle ungerechnet -- von den drei Franken des Vaters leben? Da sei es gleich besser, alle zusammen stürzten sich in den Kanal.
    »Es nützt nichts, daß du dich grämst«, sagte Maheu mit dumpfer Stimme. »Wir sind vielleicht noch nicht am Ende unseres Elends angelangt.«
    Etienne, der starr auf die Fliesen geschaut hatte, blickte jetzt auf und flüsterte, die Augen gleichsam in einem Zukunftsbilde verloren:
    »Es ist Zeit! Es ist Zeit!«

Teil 4

Erstes Kapitel
    An diesem Montag hatten die Hennebeau Frühstücksgäste: die Grégoire mit ihrer Tochter Cäcilie. Man hatte einen Ausflug vereinbart: nach der Tafel sollte Paul Negrel den Damen die Thomasgrube zeigen, die man mit großem Aufwande neu eingerichtet hatte. Doch war dieser Ausflug nur ein liebenswürdiger Vorwand, von Madame Hennebeau ersonnen, um die Heirat Cäcilies mit Paul zu beschleunigen.
    Da war plötzlich an demselben Montag um vier Uhr morgens der Streik ausgebrochen. Als die Gesellschaft am ersten Dezember ihr neues Löhnungssystem eingeführt hatte, blieben die Arbeiter ganz ruhig. Am Schlusse des Halbmonats, am Zahltage, hatte kein einziger auch nur die geringste Beschwerde erhoben. Das ganze Personal vom Direktor an bis zum letzten Aufseher glaubte, der Tarif sei angenommen. Es herrschte denn auch seit dem Morgen große Überraschung angesichts dieser Kriegserklärung, die mit einem Geschick und einer Einmütigkeit geschehen war, die auf eine tatkräftige Leitung hinzudeuten schienen.
    Um fünf Uhr weckte Dansaert Herrn Hennebeau, um ihm zu melden, daß im Voreuxschachte kein einziger Mann angefahren war. Das Dorf der Zweihundertundvierzig, durch das er soeben gekommen, lag hinter geschlossenen Türen und Fenstern in tiefem Schlafe. Seit dem Augenblicke, als der Direktor mit schlafschweren Augen aus dem Bette gesprungen war, verschlimmerte sich die Lage immer mehr; von Viertelstunde zu Viertelstunde kamen Boten; die Depeschen fielen hageldicht auf sein Schreibpult nieder. Zuerst hoffte er, die Empörung werde sich auf den Voreuxschacht beschränken; allein, die Nachrichten lauteten mit jeder Minute ernster: im Mirouschachte, im Crèvecoeurschachte, im Magdalenenschachte waren bloß die Roßwärter angefahren; im Siegesschachte, in der Grube Feutry-Cantel war nur ein Drittel der Arbeiter erschienen; der Thomasschacht allein war vollbesetzt und schien außerhalb der Bewegung zu stehen. Bis neun Uhr diktierte er Depeschen, telegraphierte nach allen Seiten, an den Präfekten von Lille, an die Leiter der Gesellschaft, verständigte die Behörden, verlangte Weisungen. Er hatte Negrel entsendet, eine Rundfahrt nach den benachbarten Gruben zu machen und genaue Erkundigungen einzuholen.
    Plötzlich erinnerte sich Herr Hennebeau des Frühstücks und schickte sich an, den Kutscher zu den Grégoires zu entsenden mit der Nachricht, daß der Ausflug verschoben sei, als ein Schwanken seines Willens ihn zurückhielt, ihn, der soeben in wenigen knappen Sätzen das Schlachtfeld militärisch vorbereitet hatte. Er ging zu seiner Frau hinauf, die sich in ihrem Toilettezimmer befand, wo eine Kammerzofe den Haarputz ihrer Herrin

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