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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Langeweile der ersten Zeit ihrer Ehe wiedergekehrt. Anfänglich schien sie beruhigt durch die tiefe Stille, durch die Eintönigkeit der endlosen Ebene. Sie begrub sich da wie eine Frau, die mit dem Leben abgeschlossen; sie tat, als sei ihr Herz tot, und schien dermaßen losgelöst von der Welt, daß selbst ihre zunehmende Beleibtheit sie nicht betrübte. Dann aber brach unter diesem Gleichmut ein letztes Fieber durch, ein Bedürfnis, noch zu leben, das sie sechs Monate damit einschläferte, daß sie das kleine Haus der Direktion nach ihrem Geschmack einrichtete und möblierte. Sie sagte, das Haus sei abscheulich, und füllte es mit Teppichen, Nippsachen und einem Luxus in Kunstgegenständen, von dem man weit und breit, selbst in Lille sprach. Die Gegend brachte sie jetzt in Verzweiflung, diese dummen, endlos sich dehnenden Felder, diese ewig schwarzen Wege, wo es keinen Baum gab, und wo eine gräßliche Bevölkerung wimmelte, die ihr Schrecken und Abscheu einflößte. Es begannen die Klagen über Verbannung; sie beschuldigte ihren Gatten, sie seinen Bezügen von vierzigtausend Franken geopfert zu haben, einem Bettel, der zur Fortführung des Haushaltes kaum hinreiche. Er habe es machen müssen wie die anderen, einen Anteil fordern, Aktien erlangen, kurz, zu etwas Rechtem kommen. Sie beharrte dabei mit der Grausamkeit einer Erbin, die das Gold ins Haus gebracht. Er mit seiner stets vornehmen Haltung, in die erheuchelte Kälte eines Verwaltungsmenschen sich hüllend, war von dem Verlangen nach diesem Geschöpfe verzehrt, von einer jener späten, heftigen Begierden, die mit dem Alter nur zunehmen. Niemals hatte er sie als Liebhaber besessen; ein Bild verfolgte ihn unablässig: sie einmal so für sich zu haben, wie sie sich einem andern hingegeben habe. Jeden Morgen träumte er davon, sie am Abend zu erobern; wenn sie ihn dann mit ihren kalten Augen ansah; wenn er fühlte, daß alles in ihr sich weigerte; vermied er es, auch nur ihre Hand zu berühren. Es war ein Leiden ohne Möglichkeit der Heilung, verborgen unter der Straffheit seiner Haltung; das Leiden einer zärtlichen Natur, die im Stillen daran zugrunde ging, daß sie in der Ehe nicht das Glück gefunden. Als nach Ablauf der sechs Monate das Haus vollständig möbliert war und ihr nichts mehr zu tun gab, verfiel Frau Hennebeau in eine verzehrende Langeweile als ein Opfer, das die Verbannung töten mußte, und das sich glücklich pries, da zu sterben.
    Zu jener Zeit kam Paul Negrel nach Montsou. Seine Mutter, Witwe eines Kapitäns aus der Provinz, lebte in Avignon von einer mageren Pension und hatte sich die größten Entbehrungen auferlegt, damit ihr Sohn seine technischen Studien beendigen könne. Er verließ die Hochschule mit schlechtem Zeugnis, und sein Oheim, Herr Hennebeau, bot ihm die Stelle eines Ingenieurs im Voreuxschachte an. Seither wurde er als Kind des Hauses behandelt, hatte da sein Zimmer und seine Verpflegung, was ihm gestattete, die Hälfte seiner Bezüge von dreitausend Franken seiner Mutter zu senden. Um diese Wohltat zu bemänteln, sprach Herr Hennebeau von der Verlegenheit, in der ein junger Mann sich befinde, der genötigt sei, sich einen Haushalt einzurichten in einem der Schweizerhäuschen, die für die Grubeningenieure bestimmt waren. Frau Hennebeau hatte sofort die Rolle einer guten Tante angenommen, duzte ihren Neffen, wachte über sein Wohlergehen. Besonders in den ersten Monaten bekundete sie eine mütterliche Sorgfalt, die bei dem geringsten Anlasse von guten Ratschlägen überfloß. Doch blieb sie Weib dabei und gelangte allmählich zu persönlichen Vertraulichkeiten. Dieser starke, praktische Bursche mit skrupellosem Verstande, der über die Liebe sich zu philosophischen Grundsätzen bekannte, amüsierte sie durch die Lebhaftigkeit seines Pessimismus, der seinem schmalen Gesichte mit der spitzen Nase einen schneidigen Zug verlieh. Es fügte sich in ganz natürlicher Weise, daß er eines Abends in ihren Armen lag; und sie schien aus Gutmütigkeit sich ihm hinzugeben mit der Versicherung, daß sie kein Herz mehr habe und nur seine Freundin sein wolle. In der Tat war sie nicht eifersüchtig, neckte ihm wegen der Schlepperinnen, die er für ganz abscheulich erklärte, und schmollte fast mit ihm, weil er ihr keinerlei Späße zu erzählen habe, wie sie ja im Leben eines jungen Mannes vorkommen. Dann begeisterte sie sich für den Plan, ihn zu verheiraten; sie träumte davon, sich zu opfern, ihn einer reichen Erbin in die Arme zu legen.

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