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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Lage aufzuklären, als Hippolyte die Türe des Speisesaales öffnete. Da unterbrach er sich, um seinem Gaste zu sagen:
    »Frühstücken Sie mit uns; beim Nachtisch will ich Ihnen weiter erzählen.«
    »Wie es Ihnen beliebt«, antwortete Deneulin, von seiner Sorge dermaßen erfüllt, daß er ohne viele Umstände die Einladung annahm.
    Indes war er sich seiner Unhöflichkeit bewußt und wandte sich an Frau Hennebeau, um seine Entschuldigungen vorzubringen. Sie war übrigens sehr liebenswürdig. Nachdem sie ein siebentes Gedeck hatte auflegen lassen, brachte sie ihre Gäste unter: Frau Grégoire und Cäcilie an der Seite ihres Gatten; Herr Grégoire und Deneulin zu ihrer Rechten und Linken; Paul zwischen Cäcilie und ihrem Vater. Als dann die Vorspeisen herumgereicht wurden, sagte sie lächelnd:
    »Sie verzeihen, ich wollte Ihnen Austern geben... Am Montag gibt es in Marchiennes immer frische Ostendeaustern und ich hatte die Absicht, die Köchin in unserem Wagen hineinzusenden... Allein sie fürchtete, mit Steinen beworfen zu werden.«
    Ein allgemeines Lachen unterbrach sie. Man fand die Geschichte drollig.
    »Still«, sagte Herr Hennebeau gereizt, indem er nach den Fenstern blickte, durch die man auf die Straße sehen konnte. »Die Leute brauchen nicht zu wissen, daß wir heute Gäste haben.«
    »Diese Schnitte Wurst werden sie nicht bekommen«, erklärte Herr Grégoire.
    Man lachte von neuem, aber etwas leiser. Die Gäste fühlten sich behaglich in diesem mit flämischen Teppichen überzogenen und mit alteichenen Schränken möblierten Saal. Hinter den Glastüren der Kredenzen schimmerten silberne Tafelgefäße; von der Zimmerdecke hing eine große Kupferlampe herab, in deren blank polierten Rundungen eine Palme und eine Aspidrista sich spiegelten, die in Majolikatöpfen die Tafel zierten. Draußen war ein eisigkalter Dezembertag, unwirtlich gemacht durch einen scharfen Nordost. Aber kein Hauch drang herein; in dem Saale herrschte eine Treibhauswärme, durchzogen von dem feinen Dufte einer Ananas, die zerschnitten in einem Kristallgefäße lag.
    »Man sollte die Vorhänge schließen«, meinte Negrel, den die Angst der Grégoire belustigte.
    Die Kammerfrau, die dem Diener bei der Tafel behilflich war, nahm den Vorschlag Pauls für einen Befehl und schloß einen der Vorhänge. Von da an folgten endlose Scherze; Gläser und Gabeln wurden behutsam auf den Tisch gesetzt; jede neue Schüssel wurde freudig begrüßt wie ein Stück, das in einer eroberten Stadt aus der Plünderung gerettet worden; und hinter dieser gezwungenen Heiterkeit lauerte eine geheime Furcht, die sich durch unwillkürliche Blicke nach der Straße verriet, als habe eine Bande von Hungerleidern von außen nach der Tafel gespäht.
    Nach den getrüffelten Eiern kamen Forellen. Das Gespräch drehte sich jetzt um die Industriekrise, die seit anderthalb Jahren währte und immer ernster wurde.
    »Es war unausbleiblich«, sagte Deneulin; »der allzu große Wohlstand der letzten Jahre mußte uns dahin führen. Denken Sie nur an die enormen Kapitalien, die festgelegt wurden, an die Eisenbahnen, Hafen- und Kanalbauten, an all das Geld, das man in die unsinnigsten Spekulationen steckte. In unserer Gegend allein wurden soviele Zuckerfabriken errichtet, als gebe es jährlich drei Rübenernten... Heute wird das Geld knapp; es gilt zu warten, bis die Zinsen der angelegten Millionen hereinkommen; daher die verderbenbringende Stockung aller Geschäfte.
    Herr Hennebeau bekämpfte diese Stockung, aber er gab zu, daß die guten Jahre den Arbeiter verdorben hätten.
    »Wenn ich bedenke,« rief er, »daß diese Kerle in unseren Gruben sich bis sechs Franken des Tages machen konnten, das Doppelte dessen, was sie jetzt erwerben. Und sie lebten gut und hatten sogar eine gewisse Neigung zum Luxus... Heute kommt es ihnen natürlich hart an, zur ehemaligen, kärglichen Lebensweise zurückzukehren.«
    »Herr Grégoire,« unterbrach Frau Hennebeau, »nehmen Sie noch ein wenig von den Forellen; sie sind köstlich, nicht wahr?«
    Der Direktor fuhr fort:
    »Aufrichtig gesprochen: ist es unsere Schuld? Auch wir sind hart betroffen... Seitdem die Fabriken -- eine nach der ändern -- schließen, haben wir die allergrößte Mühe, uns unseres Kohlenvorrats zu entledigen; angesichts der immer mehr sich verringernden Nachfrage sind wir genötigt, die Herstellungskosten zu vermindern ... Die Arbeiter wollen alldas nicht einsehen.«
    Ein Schweigen trat ein. Der Diener reichte gebratene

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