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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Ihre Beziehungen dauerten fort; er war ihr ein Spielzeug zur Erholung, ein Gegenstand der letzten Zärtlichkeiten einer müßigen und fertigen Frau.
    So waren zwei Jahre verflossen. In einer Nacht hatte Herr Hennebeau einen Verdacht, als er nackte Füße vor seiner Tür vorbeihuschen zu hören glaubte. Doch er lehnte sich gegen den Gedanken an dieses neue Abenteuer auf hier in seinem Hause zwischen dieser Mutter und diesem Sohne! Überdies erzählte ihm am nächsten Morgen seine Frau, daß sie Cäcilie Grégoire für ihren Neffen erkoren habe. Sie widmete sich diesem Heiratsplane mit einem solchen Eifer, daß er über seine ungeheuerliche Einbildungskraft errötete. Er war dem jungen Manne nur dankbar dafür, daß das Haus weniger trübselig war, seitdem er eingezogen.
    Aus dem Toilettezimmer seiner Frau kommend, begegnete Herr Hennebeau auf dem Flur seinem Neffen, der eben zurückkehrte. Paul schien die Streikgeschichte spaßig zu finden.
    »Nun?« fragte der Oheim.
    »Nun, ich habe eine Rundfahrt durch die Dörfer gemacht. Die Leute scheinen ganz vernünftig; aber ich glaube, sie werden Abgesandte zu dir entbieten.«
    Doch in diesem Augenblicke rief die Stimme der Frau Hennebeau aus dem ersten Stock:
    »Bist du es, Paul? Komm' doch herauf, mir Nachricht geben. Ist es nicht drollig, daß diese Leute, die so glücklich sind, die Bösartigen hervorkehren?«
    Der Direktor mußte darauf verzichten, mehr zu erfahren, da seine Frau seinen Boten in Beschlag nahm. Er setzte sich wieder an sein Schreibpult, auf dem sich ein neues Häuflein Depeschen angesammelt hatte.
    Als um elf Uhr die Gregoire ankamen, waren sie erstaunt, daß der Kammerdiener Hippolyte, der als Schildwache aufgestellt war, sie hastig ins Haus drängte, nachdem er unruhige Blicke nach beiden Seiten der Straße geworfen hatte. Die Vorhänge des Salons waren geschlossen, und man führte sie geradeaus in das Arbeitskabinett, wo Herr Hennebeau sich entschuldigte, daß er sie so empfange. Die Fenster des Salons gehen auf die Straße, setzte er hinzu, und es sei unnötig, den Schein auf sich zu laden, als fordere man die Leute heraus.
    »Wie, Sie wissen nichts?« fuhr er fort, als er ihre Überraschung sah.
    Als Herr Gregoire erfuhr, daß der Streik endlich ausgebrochen sei, zuckte er mit seiner ruhigen Miene die Achseln. Es werde nichts sein, meinte er; die Bevölkerung sei sehr rechtschaffen. Frau Grégoire bekräftigte mit einem Nicken ihres Kinns sein Vertrauen in die hundertjährige Ergebung der Kohlengräber; während Cäcilie, an diesem Tage sehr lebensfroh und in Jugendschöne prangend, in ihrer Toilette von Kapuzinertuch bei dem Worte »Streik« lächelte, weil es sie an die Verteilung von Almosen in den Arbeiterdörfern erinnerte.
    Doch jetzt erschien Frau Hennebeau, gefolgt von Negrel; sie war ganz in schwarze Seide gekleidet.
    »Ist das nicht ärgerlich?« rief sie schon an der Türe. »Als ob diese Leute nicht hätten warten können!... Ich will Ihnen nur gleich sagen, daß Paul sich weigert, uns nach der Thomasgrube zu begleiten.«
    »Wir bleiben hier«, sagte Herr Grégoire in verbindlichem Tone. »Es wird uns nur ein Vergnügen sein.«
    Paul hatte sich begnügt, Cäcilie und ihre Mutter zu grüßen. Unmutig wegen dieses geringen Eifers lenkte ihn die Tante mit einem Blicke zu dem jungen Mädchen; als sie die beiden zusammen lachen hörte, hüllte sie sie in einen mütterlichen Blick ein.
    Inzwischen las Herr Hennebeau die Depeschen zu Ende und setzte einige Antworten auf. Die Gesellschaft plauderte in seiner Nähe; seine Frau erklärte, daß sie sich mit diesem Arbeitskabinett nicht beschäftigt habe; es habe seine verblaßte, rote Papiertapete, seine schwerfälligen Mahagonimöbel, seinen alten Aktienschrein behalten. So verflossen drei Viertelstunden, und man war im Begriff, zu Tische zu gehen, als der Kammerdiener Herrn Deneulin meldete. Dieser trat mit aufgeregter Miene ein und verneigte sich sodann vor Frau Hennebeau.
    »Sie sind da!« rief er dann, die Grégoire bemerkend.
    Dann wandte er sich lebhaft an den Direktor:
    »So ist es denn doch eingetreten? Ich erfuhr es soeben von meinem Ingenieur ... Meine Leute sind heute Morgen angefahren. Aber die Sache kann um sich greifen; ich bin besorgt ... Wie ist's mit Ihnen?«
    Er war zu Pferde herbeigeeilt; seine Unruhe verriet sich in seiner lauten Sprache und in seinen hastigen Gebärden, die ihm viel Ähnlichkeit mit einem Reiteroffizier verliehen.
    Herr Hennebeau schickte sich an, ihn über

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