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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Nährig
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gerne würde ich in meiner Not einen der sieben Weisen zurate ziehen, leider ist keiner im Grill anwesend. So ist es im Leben: Wenn man jemanden braucht, ist keiner da. Allein schreite ich den Horizont meiner Kellnermöglichkeiten ab.
    Als milderndes Bollwerk wirkt ihr steter Begleiter, Nikolas Graf Bernstorff. Er ist stabil, ruht in sich. Seine Gegenwart schafft unvermittelt blühende Wiesen und lässt die Sonne blinzeln, mäßigt, gleicht aus, bringt alles ins rechte Lot.
    Der Spargel wird serviert; duftender, dünn geschnittener Holsteiner Katenschinken an der Seite. Wie wird es ausgehen? Ich bin nervös. Für einen Moment entgleitet mir der Boden unter den Füßen.
    Doch der Herrgott und die gnädige Frau sind heute gut gelaunt und mir wohlgesinnt. Alles wird goutiert, akzeptiert, für gut befunden. Ich bin noch einmal davongekommen.
Mein Lieblingskauz
    Auch ein Gast wie Hans Buchholz ist für jedes Hotel eine Bereicherung. Ein Aussehen wie siebzig, ist aber achtzig. Agilität, Lebensfreude, Unternehmungsgeist und Reiselust wie bei einem Dreißigjährigen. Wenn er das Restaurant betritt, allein oder in Begleitung, sind alle Blicke auf ihn gerichtet. Die Dame, sei sie noch so schön und interessant, kommt erst als zweite an die Besichtigungsreihe. Sein Drei- bis Viertagebart und das strubbelige graue Haar lassen ihn etwas verwegen aussehen. Seine laute Stimme tönt schon von der Hotelhalle herüber. Mein Gott, denke ich, was wird er mich heute wieder fordern, strapazieren! Aber es sind doch immer angenehme, liebevolle Strapazen, die er mir bereitet.
    Beide Außentaschen seines geschmeidigen grauen Kaschmir-Sakkos sind ausgebeult. Die linke durch eine Flasche Mineralwasser, die er immer mit sich trägt, um in der Taxe davon trinken zu können (er hat nie eine Fahrerlaubnis erworben). In der rechten entweder eine Tube mit seiner speziellen Remouladensauce oder eine Packung Sauerteigbrot, welches er nur beim Bäcker seines Vertrauens kauft. Oder beides. Ein Eigenbrötler eben.
    Es ist regelrecht faszinierend, wie beliebt er beim weiblichen Geschlecht ist. Die Damen finden ihn höchst interessant und charmant. Man muss schon genauer hinsehen, um glauben zu können, dass dieser Selfmademan in gleich zwei prächtigen Villen in bester Wohngegend residiert und dort sogar geduldet wird.
    Wenn er das Sakko auszieht, was manchmal, aber selten vorkommt, fällt sofort ein grellfarbiger Pulli auf, scheußlich – lila, lindgrün oder himmelblau. Die unverzichtbare Krawatte ist nie ordentlich gebunden, sie hat das Aussehen eines bunten Stricks, der ungeordnet um das zerknüllte Hemd geschlungen ist. Die langen X-Beine, leicht wackelig, sind mit einer zu langen grauen Hose umhüllt, die am unteren Ende Ziehharmonika-artige Falten bildet. Weiße, klobige Sneakers dienen als Schuhwerk. So stakst er auf seinen Tisch zu. Der Wein steht bereit. In jedem seiner bevorzugten Restaurants hat er auch seinen bevorzugten Wein. In jedem Restaurant eine andere Sorte. Im Vier Jahreszeiten ist es ein Grüner Veltliner vom Bründlmayer. Eiskalt serviert.
    Sollte es vorkommen, dass Hans Buchholz Service wünscht, und die Bedienung ist augenblicklich weder durch Rufen noch durch Handzeichen erreichbar, dann greift er zum Handy und ruft in dem Restaurant an, in dem er soeben sitzt. Ganz schön verrückt, aber ich mag ihn. Er hat das Herz am rechten Fleck. Was er sagt, ist auch so gemeint. Auf ihn ist Verlass. Auch wenn er ein wenig – ein wenig sehr – gewöhnungsbedürftig ist. Ein Kauz. Mein Lieblingskauz.
    Zu seinen Lieblingsspeisen zählen unter anderem Beefsteak Tatar und Roastbeef kalt mit Remouladensauce. Da das Originalrezept für Remouladensauce Sardellenfilet enthält, mag Hans Buchholz die Originalsauce nicht essen. Fisch ist ihm verhasst. Einmal, erinnere ich, hatte ich Lust auf Schelmerei und eröffnete ihm, dass bei uns die Sauce Remoulade neuerdings ohne Sardelle gemacht werde. Was natürlich nicht stimmte. Wir machen die Sauce Remoulade nur mit Sardelle, die klassische Art. Ich servierte sie. Er verspeiste sie mit Appetit und äußerte mit dankesvollen Kenneraugen: »Man merkt gleich, dass hier keine Sardelle drin ist, ich schmecke Fisch aus weiter Entfernung.«
    Ich habe ihn natürlich in seinem guten Glauben belassen.

Gymnastik vor dem Essen
    Es kam mir bisweilen so vor, als gebe es in der ganzen Stadt Hamburg nur ein einziges Restaurant – den Jahreszeiten-Grill. Jeder Tisch mit höchstmöglicher Personenzahl besetzt. Mit

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