Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
alle Höflichkeitsrituale einzuhalten. Während der Wartezeit geht er, etwas unruhig, in der Hotelhalle auf und ab. Schaut mit prüfendem Kennerblick in den prächtigen Raum und sieht auf dem Flügel eine Brokatdecke. Diese Brokatdecke liegt glatt ausgebreitet auf dem langgestreckten Tasteninstrument. Das gefällt dem Herrn Architekten überhaupt nicht. Erste Veränderung. Die Decke wird in barocke Falten gelegt und kunstvoll auf dem Pianoforte drapiert. Ein wohlgefälliger, zufriedener, fachmännischer Blick, der besagt, ja, so ist es richtig. So muss es sein.
Direktor Prantner, eine stattliche, charismatische Persönlichkeit, trifft ein und man geht sich entgegen. Nach der Begrüßung in der Vorhalle beginnt der Rundgang. Die Herren begeben sich zuerst in das gegenüberliegende hoteleigene Restaurant Haerlin. Besichtigen nachfolgend alle Festräume, die sich rund um das Herz des Hauses, die Hotelhalle, reihen. Diese Halle wird im Vier Jahreszeiten »Wohnhalle« genannt, weil sie den Charakter eines großen Wohnzimmers hat. Ich sage zu jedem Gast, der fragt, warum es denn Wohnhalle heiße, immer: »Weil es das schönste Wohnzimmer Hamburgs ist – außer dem Ihrigen.« Am Ende der Besichtigung aller eventuell neu zu gestaltenden Gasträume kommen die beiden Herren wieder zurück in besagte Wohnhalle und am Flügel vorbei.
Herr Prantner sieht die in Faltenwurf gelegte Brokatdecke, wirft einen kurzen, etwas befremdeten Blick darauf und geht weiter. Zwei Schritte später hält er inne, dreht sich um, sieht die Decke erneut kritisch an, zieht sie mit beiden Händen glatt, während er hörbar ärgerlich murmelt: »Welcher Idiot hat denn die Decke so scheußlich hingewurschtelt?« Dabei schaut er den Architekten an und fährt fort: »Finden Sie nicht auch, dass sie schön ausgebreitet viel besser zur Geltung kommt?«
Herr Jacobson, etwas erstaunt: »Ja, da haben Sie wirklich recht.«
Tja, wie es schon in Lessings Emilia Galotti heißt: »Die Kunst geht nach Brot« …
Die Zwei-Kilo-Dose Kaviar
Die klassische Esskultur mit Gerichten, welche schon seit Jahrzehnten Bestand haben, wird leider immer weniger gewürdigt und ist heute vielfach dabei verlorenzugehen. Das mag mit auch daran liegen, dass die Preise für manche Speisen wie Kaviar oder Weiße Trüffeln inzwischen astronomische Höhen erklommen haben. In anderen Fällen sind wechselnde Ernährungstrends, immer neue Diät- und Gesundheitsmoden sowie der Verlust der kulinarischen Bildung für dieses bedauerliche Schwinden verantwortlich.
Der 1995 verstorbene Zeit -Verleger Gerd Bucerius lud manchmal seine Freunde auf ein »Butterbrot« ein. Das mag reichlich frugal, ja knauserig klingen. Doch es bedeutete, dass es großkörnigen Beluga-Malossol-Kaviar der edelsten Sorte gab. Samt Zutaten wie Eigelb, Eiweiß, Crème fraîche und fein gewiegten Schalotten sowie Melba-Toast, das heißt Toastbrot in ganz dünnen Scheiben, die Rinde entfernt und dann goldbraun getoastet. Das hatte Stil.
Der leider ebenfalls nicht mehr unter uns weilende Hamburger Kaufmann Ursuleac und seine Frau Eleonore luden zum siebzigsten Geburtstag zehn Gäste zu einem »kleinen Abendessen« ein. Frau Ursuleac kam ein paar Tage vorher vorbei, um Speisen und Getränke mit mir abzusprechen. Eine ungemein hübsche Frau mit einem mädchenhaften, beinahe fragilen Körper, das faltenlose zarte Gesicht mit modischer Brille von feinem naturblonden Haar umschmeichelt, eine kleine Wiedehopf-Aigrette von einer Zieragraffe über dem Scheitel justiert. »Nicht viel«, antwortete die gnädige Frau auf meine Frage, was es denn geben solle. »Nur zwei Gänge, mehr nicht, die aber erlesen. Als Hauptspeise möchte ich gerne norwegischen Hummer mit den klassischen Beilagen Mayonnaise, Zitronenbutter und französisches Baguette servieren lassen. Die Mayonnaise aber nicht zu fett, die Damen sind alle auf ihre Figur bedacht. Den Nachtisch sollen sie selbst aussuchen, jeder wozu er Lust und Appetit hat.«
»Was darf es als kleine Vorspeise sein?«, erkundigte ich mich. »Da nehmen wir ein wenig Kaviar«, entschied sie. Wohlwissend, dass Kaviar eine äußerst hochpreisige Speise ist, fragte ich weiter: »Wie viel darf ich servieren, dreißig oder fünfzig Gramm?«
»Ach«, sagte Eleonore Ursuleac, »bringen Sie, sagen wir mal, eine Zwei-Kilo-Dose, und die stellen wir auf den Tisch, damit sich jeder nehmen kann, so viel er möchte.« Als alles besprochen war, ergänzte sie noch: »Den Wein sucht mein Mann am Abend aus,
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