Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
entsprechender Auslastung des Personals. Andererseits ist es natürlich schön, wenn es so ist. Es ist das Schlimmste für ein Restaurant, wenn es halb oder ganz leer ist.
Der größte Teil der Gäste ist schon eingetroffen. Es ist ein Tag, an dem viele einander kennen. Als wären alle eine einzige große Familie. Man ist sozusagen entre nous . Ich warte noch darauf, dass auch der letzte reservierte Tisch besetzt wird. »Ah, da kommen sie schon!« Frau Müller-Orleans mit ihren Gästen. Sie sind zu sechst. Drei Damen, drei Herren.
Die Damen sind ganz außergewöhnlich elegant gekleidet. Die Gastgeberin trägt ein einzigartiges Ensemble von Hoffmann-Moden am Neuen Wall, einem der elegantesten Modehäuser der Stadt. Helles Ockergelb mit breitem Gürtel, der mit vielen glitzernden Steinen besetzt ist. Dazu passende Schuhe mit sehr hohen Absätzen und ebenso vielen Glitzersteinen wie der Gürtel. Mit ihren Frisuren und den geschminkten Gesichtern scheinen die Damen einen Concours d’élégance austragen zu wollen. Trotzdem, die Kriegsbemalungen sehen sehr edel aus. Nachdem man links und rechts geguckt hat, ob auch ja alle den Einmarsch sehen und man auch sämtliche Bekannten begrüßt hat – mit Küsschen, mit »Huhu!« und winkend, wobei sich nur die Finger auf und ab bewegen, als wolle man eine blinkende Verkehrsampel ersetzen –, ist endlich der Tisch erreicht.
Die Platzwahl ist ab drei Personen selbst für intelligente Leute ein Problem. Bei sechs kann es schon mal ein abendfüllendes Programm werden. »Wollen wir eine Hamburger Reihe machen?«, sagt die eine. »Nein«, sagt die andere, »die Ehepaare sollen zusammensitzen«, worauf sofort die dritte einwirft: »Um Gottes willen, das ist ja langweilig.« Auch die Herren, die sich bis jetzt ruhig verhalten haben, melden sich nun zu Wort. »Ich meine, wir sollten bunte Reihe machen«, sagt der mit dem dicken Bauch. Die Dame mit dem tizianroten Haar, umfasst von einer Spange, auf der zwei große goldene Buchstaben reliefartig um die Wette funkeln, lässt sich auf den Platz mit der besten Sicht ins Restaurant fallen und sagt in spitzbübischem Tonfall, um ihr schlechtes Gewissen zu vertuschen: »Ich setze mich in die Ecke, da störe ich niemanden.«
Nun haben alle bis auf die Gastgeberin ihren Platz gefunden, sie ist immer noch beim Begrüßungsgespräch mit bekannten Gästen am Nebentisch. Ich habe, wie es sich gehört, schon den Stuhl abgerückt, um ihn der Dame dann zurechtzurücken. Sie wird sich jede Sekunde setzen, darum stehe ich bereit, rühre mich nicht von der Stelle. Eine Frau vom Tisch hinter mir ruft: »Herr Ober!« Ich drehe mich um, den Stuhl abgezogen, fest im Griff. In diesem Augenblick macht die Gastgeberin in ihrem ockergelben Kostüm zwei Schritte zurück, um auf dem von mir bereitgehaltenen Stuhl Platz zu nehmen, denkt ganz selbstverständlich, ich rücke ihn für sie zurecht, will sich setzen und, plumps, hockt sie auf dem Boden.
Mein Kopf wird rot und röter. Meine Entschuldigung, in tausendfacher Ausführung, immer bittender. Da schaut Frau Müller-Orleans vom Fußboden zu mir auf und meint bittersüß lächelnd: »Ach, das macht doch nichts, ich mache gern ein bisschen Gymnastik vor dem Essen.«
Das nennt man Eleganz!
Der Architekt und die hohe Kunst des Faltenwurfs
Das Hotel sollte wieder einmal eine neue Innenansicht bekommen. Erneut umgestaltet werden. Ganz gleich, warum. Wenn sich eine Umsatzflaute bemerkbar macht, wird immer verändert. Nicht nachgedacht, warum der Umsatz stagniert oder gar zurückgeht. Erst mal ändern um jeden Preis. Irgendwann in den Achtzigern gab es also wieder eine dieser Phasen. Zeiterscheinungen, die ich viele Male erlebt habe. Die auch mich immer beschäftigten. Hätte aber ein Kellner wie ich einen Vorschlag gemacht, hätte man ihn nur milde belächelt: Du Dummkopf, du wirst es gerade wissen, wenn wir den Fehler nicht finden. Wir, die wir alle studiert haben und alles wissen.
Wie auch immer. Es wurde ein Architekt gerufen. Eric Jacobson. Sein Büro befand sich gleich um die Ecke. Praktisch. Herr Jacobson kam, um den damaligen Direktor des Hotels, Gert Prantner, einen Vorschlag zu machen, ihm aufzuzeigen, welche Möglichkeiten der Gestaltung es gab, um wieder neue und mehr Gäste zu gewinnen. Und um ihm zu erläutern, welche Veränderungen dafür nötig sein würden.
Man hatte sich für den Nachmittag verabredet. Der Architekt war etwas eher vor Ort. Er wollte ja seine Dienste verkaufen, da hieß es,
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