Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Gesichtsausdruck, Mimik, Körperhaltung und Gestik wie ein Chamäleon die Farbe, und ich hatte mit einem Mal einen höchst angenehmen, überaus gebildeten Menschen vor mir. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr die Umgebung die Menschen verändern kann – anders als beim Chamäleon ist es in diesem Fall jedoch vor allem unser Blick, der sie verändert. Kleider machen Leute, teures Ambiente macht feine Leute. Eine Erfahrung, die ich im Hotel Vier Jahreszeiten sehr häufig gemacht habe. Umgekehrt war mir, wie oft im Leben, wieder einmal deutlich geworden, dass, wie schon das biblische Buch Kohelet weiß, ein jedes Ding seine Zeit hat: Die Bratwurst am Stehtisch mit Kunststoffbesteck schmeckt zu ihrer Zeit und an ihrem Ort ebenso köstlich wie ein andermal die mit Gänseleber gefüllte Fasanenbrust auf schwerem damastenem Tischtuch mit Silberbesteck im Sternerestaurant.
Jahre nach unserem gemeinsamen Stehdinner hatte ich Gelegenheit, Ulrich Wildgruber im Jahreszeiten-Grill bedienen zu dürfen. Ein Journalist, der etwas über diesen Ausnahmeschauspieler schreiben wollte, hatte ihn eingeladen. Unsere Bratwurstbegegnung noch im Kopf, kam mir die Idee zu einer kleinen Schelmerei. Sogleich bestellte ich in der Küche zwei kleine Bratwürste von der Sorte, wie sie im Hotel zu den Frühstücksrühreiern angeboten werden – wohlschmeckend, aber zierlich –, und servierte ihm dieses Entree als Gruß aus der Küche. Ulrich Wildgruber sieht die winzigen Dinger, schaut erst die Würstchen und dann mich an, lächelt mehr verzweifelt als freudig und sagt etwas missmutig: »Die sind ja so klein, die kann ich mit meinen klobigen Fingern gar nicht halten.« Irritiert fragt er nach dem Grund für dieses ungewöhnliche Amuse-Bouche, sieht mich an und erinnert sich sofort wieder an mich und unsere hauptbahnhöfliche Bratwurstbekanntschaft. Nun lachte auch er, laut und ehrlich amüsiert.
Die Bratwurst hatten wir etwa 1990 verspeist. Seither waren einige Jahre vergangen, doch haben wir uns locker verabredet, bei der nächsten Gelegenheit wieder eine gemeinsame Bratwurst zu essen – diesmal mit Besteck. Dazu sollte es leider nicht mehr kommen. Ulrich Wildgruber nahm in der Nacht zum 30. November 1999 ein Bad im kalten Wasser der Nordsee vor Sylt. Seine Leiche wurde am darauffolgenden Tag gefunden.
Weitere Begegnungen: Bergman, Bülow, Bassey und die Boxerbrüder
Noch viele andere berühmte und illustre Gestalten habe ich im Vier Jahreszeiten bedienen und zumindest in kurzen Momenten als Menschen kennenlernen dürfen. Wie waren meine Mitarbeiter und ich etwa aufgeregt, als wir hörten, dass der große schwedische Hollywoodstar Ingrid Bergman im Hotel wohnte und mit Hamburger Freunden um 19 Uhr zum Essen kommen wollte. Schon viertel vor sieben stand ich an der Empfangstür. Ich hatte all meine skandinavischen Sprachkenntnisse zusammengesucht, um die Diva auf Schwedisch begrüßen zu können. »Oh«, freute sie sich, als sie meine Grußworte vernahm, »in meiner vertrauten Muttersprache bin ich schon lange nicht mehr empfangen worden«, bei diesen Worten bekam sie ganz rote Wangen, »das freut mich sehr, das höre ich gerne!« Ihre Stimme hatte einen wundervollen Klang. Dann führte ich sie zu Tisch. Ein unvergesslicher Augenblick.
Auch Vicco von Bülow, genannt Loriot, habe ich sehr gerne bedient. Er war ein großer Liebhaber unseres wohlschmeckenden Vanilleeises. Besonders die vielen schwarzen Punkte darin liebte er. Als ich ihm einmal das Eis servierte, warf er einen leicht unzufriedenen Blick auf die beiden einsam in der Silberschale liegenden Kugeln. Ich bemerkte sein bekümmertes Gesicht und fragte: »Fehlt etwas?« Etwas zaghaft erwiderte er: »Glauben Sie, ich sollte vielleicht ein bisschen Schlagsahne drauf haben?« Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich: »Ja natürlich, wir sind ja kein Kurhotel!« Da habe ich ihn einmal zum Lachen gebracht.
Die berühmten Boxbrüder Vitali und Wladimir Klitschko habe ich oft und gerne im Grill betreut. Diese boxenden Akademiker entsprechen so gar nicht dem gängigen Boxerklischee. Hier wohnen zwei wache, hochempfindsame Geister in ganz und gar nicht empfindlichen Körpern. Als ich den promovierten Sportwissenschaftler Wladimir Klitschko, wie es sich in einem Restaurant unserer Kategorie gehört, mit seinem akademischen Titel »Herr Doktor« ansprach, machte er ein abwehrende Handbewegung und sagte: »Nein, Sie sollen nicht Herr Doktor zu mir sagen. Wenn, dann sollte eher ich Sie
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