Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
mit einem Titel ansprechen. Bitte sagen Sie einfach Wladimir zu mir.« Das tat ich dann, auch wenn es mir tief in meiner österreichischen Seele ein wenig wehtat. Zur Erinnerung schoss ein Mitarbeiter ein Foto von mir mit Wladimir zur Linken und Vitali zur Rechten. Da fühlte ich mich gut beschützt.
Einer der größten Gesangsstars meiner Jugendzeit war Shirley Bassey. Ihre unglaublich kräftig-schöne Stimme mit dem schmelzenden Timbre hat mich von jeher fasziniert. Ihr großartiges Titellied des James-Bond-Films Goldfinger war mir allein schon Grund genug, ihn mehrmals anzusehen. Viele Jahre später saß sie plötzlich mit einem eleganten Herrn vor mir im Grill. Da hatte ich Gelegenheit, mich mit meinen bescheidenen Künsten ein wenig zu revanchieren. Und siehe da: Mein Service begeisterte sie so sehr, dass sie mich zur Verabschiedung küsste. Wie oft im Leben erfährt man solche Glücksmomente?
Liebe geht nicht immer durch den Magen
Und wenn die Welt am Finger glänzte, ohne sie gilt sie mir nichts.
Ferdinand Raimund
Der Heiratsantrag
Das Bakelittelefon aus den dreißiger Jahren klingelt, ich melde mich. Die Stimme am anderen Ende: »Guten Tag, ich heiße Max Hallhuber und möchte für einen wichtigen Tag einen Tisch reservieren, haben Sie eventuell heute Nachmittag Zeit? Ich möchte persönlich vorbeikommen.« Es hört sich an, als sei jeder Satz einstudiert und auswendig gelernt. »Aber sicher, sehr gerne«, antworte ich und füge noch hinzu: »Ich bin bis zum späten Abend hier im Jahreszeiten-Grill anzutreffen.«
»Gut«, sagt der Herr, »dann komme ich um 16 Uhr 30.«
Pünktlich um halb fünf ist er da. Begrüßt mich freundlich. Möglicherweise kommt er aus einem Büro, eine unter den Arm geklemmte Aktentasche deutet darauf hin. Als er den grauen, kleinkrempigen Hut vom Kopf nimmt, streicht er noch rasch das kurze, leicht angegraute Haar zur Seite, wobei er eine Hand mehr gebrauchen könnte. Sehr dünne Lederhandschuhe. Der zirka Fünfunddreißigjährige wirkt etwas nervös. Auf seiner Stirn glitzern kleine Schweißperlen, die die goldumrandete trifokale Brille den Nasenrücken hinabrutschen lassen.
»Ich möchte gerne für den 21. Oktober um 19 Uhr einen Tisch für zwei Personen reservieren.« Während er mir seine weiteren Wünsche wie ein Gedicht aufsagt, geht er weiter ins Restaurant hinein. Beobachtet die ballonartigen Blumengefäße, je mit einer rosaroten Gerbera und vielen grünen Blättern gefüllt. Die Lederhandschuhe hat er in der Zwischenzeit ausgezogen, um im Vorbeigehen zu prüfen, ob die Pflanzen denn echt oder aus Seide, Plastik, Kunststoff seien. Sobald er sich vergewissert hat, dass es sich um echte Pflanzen handelt, zieht er kennerhaft die Augenbrauen hoch und macht die Kennerbemerkung: »Habe bei Ihnen auch nichts anderes erwartet.« – »Das freut mich«, antworte ich freundlich, aber bestimmt. Ich finde, man muss hinter seinem Produkt stehen und nicht einfach bloß Ja sagen. Bei den Tischen am Fenster angelangt, zeigt er auf den rechten runden, mit den Worten: »Genau diesen Tisch möchte ich haben.« Während ich gehe, um das Reservierungsbuch zu holen, hakt er nach: »Der ist doch noch frei, oder?« Worauf ich ihm antworte: »Ich schaue soeben in der Liste nach und sehe, dass dieser Tisch an besagtem Abend schon vergeben ist.« Wir einigen uns zu guter Letzt auf einen kleinen gemütlichen Tisch für zwei Personen, den er ebenfalls goutiert. Voraussetzung ist für ihn, dass man dort übereck sitzen kann. Kann man.
Nun eröffnete er mir, es handle sich um einen Heiratsantrag. Und teilte mir mit, welche Vorbereitungen für diesen Abend vonnöten seien. »Können Sie mir versichern«, fragte er, leicht skandiert, »dass ich sechsundzwanzig rote Rosen, nicht zu dunkel, strahlendes Rot und langstielig, auf einem kleinen Seitentisch danebengestellt bekommen kann?« Konnte ich. Dann: »Des Weiteren bräuchte ich einen gepolsterten Fußschemel, damit ich mich beim Antrag vor die Dame niederknien kann.« Er vergewisserte sich auch sogleich – machte die Praxisprobe –, ob beim ausgesuchten Tisch genügend Platz zum Knien vorhanden sei, wobei er den gestreiften, etwas abgenutzten doppelreihigen Anzug aufknöpfte. Unter der Anzugjacke trug er einen flaschengrünen Pulli mit aufgenähtem bräunlichen Revers. »Ja«, sagte er sodann zufrieden, »das geht.«
»Wenn wir ankommen, servieren Sie uns, ohne zu fragen, zwei Glas Champagner. Welche Sorten bieten Sie glasweise an?« Ich teilte
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