Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
»weil es sich so gehört«, aber wirklich wichtig ist es ihr nicht. Vater und Sohn dagegen sind absolute Weinkenner. Und so wird als Aperitif ein guter weißer Bordeaux bestellt. »Heute Abend«, sagt der Gastgeber zu mir, als das Menü bestellt ist, »werden wir nur Weißwein trinken.«
Ich öffne die gut gekühlte Bordeauxflasche. Der Sohn fragt bittend, ob er am Korken riechen dürfe. Darf er. Die Kennernase zieht und schnieft, er gibt den Korken weiter an den Vater, die gleiche Prozedur. Der Probierschluck wird eingeschenkt. Beide wollen gleichzeitig probieren. Man wirft einen prüfenden Blick durch das Glas, es wird gerochen, wieder geschaut, geschwenkt. Endlich, der erste Schluck getrunken. Das Restaurant ist sehr gut besucht, mir brennen schon die Nägel, ich habe viel zu tun. Die Kennerblicke der beiden Männer fliegen hin und her wie Tennisbälle. Gott sei Dank, der Wein ist für gut befunden.
Zwischendurch werden immer wieder Speisen serviert. Man ist bei der zweiten Flasche angelangt, diesmal ein Pinot Grigio, also Grauer Burgunder aus Norditalien. Die Herren trinken immer mehrere verschiedene Weine. Man will ja lernen, den Gaumen trainieren. Nun soll es zum Abschluss noch Käse geben und dazu einen guten klassischen deutschen Weißen. Man entscheidet sich für einen Rheingauer Riesling von Schloss Vollrads. »Damit kann nichts schiefgehen«, sagt der Vater. Darauf der Sohn: »Richtig, keine Experimente.«
Da die anderen Weinkühler mit einem kleinen Rest der schon getrunkenen Weine noch dastehen – man will am Schluss noch alle Weine »gegenprobieren« –, ist nicht genügend Platz für den dritten Weinkühler, und daher stelle ich diesen um die Ecke, von wo aus nur die Mutter sehen kann, wie ich die Flasche öffne. Etwaigen dabei entstehenden Geräuschen oder ihrem Ausbleiben wird keine Beachtung geschenkt.
Der neue Wein wird wie stets von beiden Herren probiert. Man guckt sich in die Augen. »Na, mein Großer«, beginnt der Vater, »alles in Ordnung?« – »Ich weiß nicht«, erwidert der Sohn, »bin mir nicht sicher.« – »Ja, du hast recht, irgendetwas ist«, bestätigt der Vater. »Irgendetwas, komm nicht drauf«, grübelt er weiter. Beide schütteln verzweifelt die Köpfe, die Gehirne rauchen, ringen um: »Was kann es sein?« Wie ich sehe, dass die Herren sich nicht einig werden, ob der Wein nun gut ist oder nicht, biete ich an, die Flasche zurückzunehmen und eine neue zu bringen. »Nein, nein«, wehrt der Sohn ab, »erst wollen wir herausfinden, was es ist, das sind wir unserem Kennerstolz schuldig.«
»Es ist am rückwertigen Teil des Gaumens zu merken«, sagt wiederum der Vater. Man kommt zu dem Schluss, dass der Wein, zwar nur ganz leicht, aber doch korkig ist. Die Dame zuckt etwas erschrocken zusammen, schaut mich mit ratlosem Blick an, bekommt einen verschmitzten Gesichtsausdruck und lacht im nächsten Moment laut heraus. »Was ist?«, fragen die zwei Weinkenner gleichzeitig. Darauf die Mutter leise, aber für mich noch hörbar: »Dafür, dass die Flasche einen Glasverschluss hat, ist das mit dem Korkgeschmack schon ein fatales Pech.«
Ich habe mich schnell vom Tisch entfernt. Gäste soll man nicht blamieren.
Wir nehmen gern noch Kartoffeln
Es ist sicher zwanzig, fünfundzwanzig Jahre her. Eckhard Schmidt, ein Hamburger Kaufmann mit einer wunderschönen, aus Warschau stammenden Frau sowie fünf Kindern, war mit seiner Familie sonntags ein häufiger Mittagsgast im Jahreszeiten-Grill. Alle sieben saßen sie dann da und jeder durfte bestellen, was er wollte. Das nutzten die Kinder aus. Zu Hause gab es für alle üblicherweise das Gleiche. Nun will jeder etwas anderes, Leif will Huhn, Barnabé-Cäsar ein Wiener Schnitzel, Ava-Anastasia ein Filetsteak, Amber-Josephine Bœuf Stroganoff, Lynn nur Gemüse, und die Eltern essen beide Seezunge Müllerinart, aber immer mit Kartoffeln. »Viel Kartoffeln«, sagt der Vater bei jeder Bestellung.
Das Restaurant ist bis zum letzten Platz besetzt. Alle Hände voll zu tun. Nun darf ich noch erklärend beifügen, dass in jenen Zeiten alle Gerichte auf Silberplatten und die jeweiligen Beilagen, also Gemüse, Saucen, Kartoffeln, in extra dafür vorgesehenen Silberschalen, sogenannten Legumieren, zum Tisch gebracht, auf einem Guéridon, auch Beistelltisch genannt, abgestellt und nun auf dem vorgewärmten Porzellanteller serviert wurden. Auf den Teller wurde nicht die ganze Portion gelegt, sondern meist nur die Hälfte, um das Übrige auf Rechauds warm
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