Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
schreibt eine E-Mail. Das ist relativ einfach und unproblematisch. Man hat kein »Gegenüber«. Sehr viel leichter, als Briefe zu schreiben, und noch einfacher, als zu telefonieren. Beim Telefonieren gibt es eine Person am anderen Ende der Leitung, es ist ein sachliches Gespräch erforderlich, man muss auf Gegenfragen vorbereitet sein. Noch aufwändiger ist eine Reklamation gleich am Abend, sobald der Beschwerdegrund anfällt. Da lässt sich schließlich alles noch nachprüfen. Beim E-Mail-Schreiben dagegen ist man ungestört. Niemand erhebt irgendwelche fachmännischen Einwände. Da wird geschrieben und geflunkert, was das Zeug hält. In vielen Mails habe ich maßlose Übertreibungen erlebt. Auf einer Glatze wird ein Zopf geflochten.
Zu den Zeiten, als es im Grill noch das wunderschöne, dicke Reservierungsbuch gab, welches ich jahrelang, einer Trutzburg gleich, gegen die unaufhaltsame Computerflut verteidigt habe, wurde mir einmal selbst dieses Buch zum Verhängnis. In einer Beschwerdemail musste ich lesen, dass ich bei Eintreffen des Gastes im Buch neben seinem Namen ein Zeichen gemacht habe. Er schrieb, sehr empört, ich habe ihn damit »abgehakt, erledigt«. Als nächster Punkt waren die kalten Teller ein Reklamationswert (er hatte Roastbeef kalt gegessen). Das hat sogar mich, einen vielerprobten Beschwerdedeuter, überrascht. So mancher hat schon das Haar in der Suppe gefunden, noch ehe die Suppe am Tisch war. Dennoch war ich immer dafür, auch die dümmsten Beschwerden großzügig zu behandeln. Oft erkenne ich in diesen Schreiben auch eine Art sportlichen Charakter. Nach der Devise: Wie wird man reagieren? Was wird dabei rausspringen? Wie viel lässt sich maximal herausholen?
Ach, ich könnte noch ellenlang darüber schreiben, was den Gästen manchmal so einfällt. Die Ideenkiste ist voll bis obenhin. Die gehobene Gastronomie ist eine letzte Bastion der Wehrlosigkeit. Jedenfalls was das Personal betrifft.
War auch alles zu Ihrer besten Zufriedenheit?
Irgendwie aber ist die gehobene Hotellerie selbst an diesem Umstand der weitverbreiteten Unzufriedenheit mit schuld. Der Gast soll hofiert werden, und das wird er auch. Das ist gut und recht. Dafür bezahlt er schließlich. Doch manchmal, denke ich, wird dabei ein wenig übertrieben. Zu viel Positives bewirkt oftmals einen Umschlag ins Negative.
Der Gast wird bei der Ankunft gefragt, wie die Anreise war, ob er irgendwelche Wünsche habe, und während man ihn in sein Zimmer begleitet, wird ihm lang und breit berichtet, welche Möglichkeiten er im Hotel hat, was er alles nutzen kann, welche Restaurants wann geöffnet haben, wo und ab wie viel Uhr es Frühstück gibt. Er wird mit einem Wust von Informationen überschüttet, man sucht ihn förmlich in einem Meer von Wissen zu ertränken, das er aber rasch abschüttelt und doch wieder vergisst. So weit, so gut.
Geht er zum Essen ins Restaurant, wird er beim Verabschieden vom Oberkellner gefragt, ob er auch zufrieden war. Dann kommt der Küchenchef und fragt dasselbe noch einmal. Wenn er abreist, erkundigt sich wiederum die Empfangsdame: »Hat es Ihnen bei uns gefallen?« Dann kommt noch vom Portier: »Waren Sie zufrieden?« Vom Wagenmeister, der ihm den Koffer zum Auto oder Taxi bringt: »War auch alles zu Ihrer besten Zufriedenheit?« Im Zimmer liegt ein Formular, auf dem er gebeten wird, seine Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mitzuteilen. An der Rezeption liegt wieder ein anderer Zettel aus, der ihn um mehr oder weniger dasselbe bittet. In der Rechnung findet er noch einmal eine Aufforderung, und wenn er dann endlich zu Hause ist, wird er per Telefon auserkoren und angerufen, um seine Meinung zu verlautbaren. Eine E-Mail-Anfrage ob seiner Zufriedenheit kommt irgendwann natürlich auch noch. Der Gast wird so sehr torpediert mit Zufriedenheitsfragen, dass er unweigerlich irgendwann auf den Gedanken kommt: Nun muss ich aber doch etwas finden, sonst glauben die noch, ich hätte keine Ahnung von guten Hotels.
Ich weiß von einem namhaften Hoteldirektor, der allem Personal unterhalb des Oberkellners verboten hat, die Gäste zu grüßen. Da ist was dran. Der Gast kann sich nun, ungestört und ohne unentwegt für einen Gruß oder eine Zufriedenheitsfrage danken zu müssen, auf seine eigenen wichtigen Dinge konzentrieren.
Die Antworten auf all die vielen Zufriedenheitsfragen werden dann gesammelt, ausgewertet und damit Statistiken erstellt: 9,5 Gäste waren zu 85,4 Prozent zufrieden, 7,75 Gäste jedoch nur zu 78,26
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