Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Prozent. Wenn zwei Menschen mit gleicher Krankheit die gleiche Medizin nehmen, kann die Wirkung dennoch sehr unterschiedlich sein und ist es oft auch. Dasselbe gilt für die Kundenwahrnehmung in der Gastronomie. Wie viele Male habe ich erlebt, dass das gleiche Wiener Schnitzel aus ein und demselben Stück Fleisch geschnitten wurde, und der eine findet’s wunderbar, der andere schickt es als ungenießbar zurück.
Das hat viel mit Tagesverfassung, Laune, Umfeld und weiß Gott was noch allem zu tun. Oftmals sind es nur Momentaufnahmen, die den Gast zu einem völlig falschen Urteil kommen lassen. Und um diesen doch eher zufälligen »Mangel« zu beheben und sicherzustellen, dass immerzu absolut beschwerdefreie Topqualität abgeliefert wird, werden hernach unzählige stundenlange Meetings anberaumt, bei denen außer Frust nix rauskommt. Und der Kaffee, wenn’s denn einen gab, war auch noch schlecht.
Anschließend wird dann ein Mystery Man eingeschleust, ein inkognito erscheinender Tester, der auch nur eine Momentaufnahme wahrnimmt und in jedem Fall irgendetwas Negatives finden muss. Wäre alles gut, würde er ja auf dem Ast sägen, auf dem er sitzt, und hätte bald keine Arbeit mehr. Und selbst wenn alle Mitarbeiter immer hundertprozentig und absolut fehlerfrei »funktionierten«, käme dennoch nicht immer das beste Ergebnis heraus. Was nutzen die hundertprozentigen Mitarbeiter, wenn der Gast aufgrund seiner momentanen Verfassung ihre Bemühungen nur zu siebzig Prozent wahr- beziehungsweise annimmt?
Leider – oder besser Gott sei Dank – ist der Mensch kein Automat. Das gilt für alle Mitarbeiter und auch für das Management. Wie allgemein bekannt ist, gibt es auch im Management Schwachstellen. Das heißt dann Missmanagement und hat eher den Charakter eines Kavaliersdelikts.
Ist das wirklich der richtige Weg?!
Die Welt ist schön. Es gibt zwar lauter Unzufriedene drauf; das soll von der menschlichen Ungenügsamkeit kommen. Nicht wahr ist’s! Das kommt von der Genügsamkeit, denn wer ist genügsam? Der Mensch, der mit allem zufrieden ist; jeder Mensch aber wär mit allem zufrieden, wenn er alles hätt, weil aber kein Mensch alles hat, drum sind s’ alle unzufrieden.
Johann Nepomuk Nestroy
Damals und heute
Die Begegnung mit Gästen war vor dreißig Jahren sehr viel stilvoller. Die Distanz, die Unterschiede zwischen Personal und Gästen waren größer. Es klingt beinahe absurd, aber die Gutsherrenart mochte ich. In der heutigen Zeit sind die Gast-Kellner-Grenzen vielfach verschwommen, was oft bis zur Kumpelhaftigkeit ausartet. Die vielen nouveau riche haben die Moral in Sachen Benimm und Bezahlung verändert und verwischt. Zimmerpreise, ja sogar Wein- und Champagnerpreise, kritisieren sie und wollen darum feilschen wie auf einem orientalischen Markt. Die Gespräche werden flacher. Der Kunstverstand der Neureichen lässt zu wünschen übrig. Das habe ich allerdings bei den Mitarbeitern genauso bemerkt.
Andererseits wird von den Lehrlingen – heute heißen sie Auszubildende, mit verschiedenen Beinamen wie »Hofa« oder »Refa« – ein viel höherer Kenntnisstand und mehr erlerntes Spezialwissen verlangt. Fast alle Lehrlinge haben inzwischen Abitur, zumindest Fachabitur. Einfach nach acht Jahren Volksschule eine Lehre zu beginnen, so wie ich es vor über fünfzig Jahren getan habe, ist heute nahezu undenkbar.
Auch die Leitung eines Restaurants hat sich in den vergangenen fünfunddreißig Jahren sehr verändert. Die zu leistende Arbeit erstreckt sich nicht allein auf das Eigentliche – nämlich darauf, sich um das Wohl des Gastes zu kümmern und für ihn zu sorgen –, sondern es gilt, sehr viel Zeit für Administratives aufzubringen. Der »Kampf um den Gast« ist viel schwieriger und härter geworden. Hotels und Restaurants machen sich gegenseitig die Arbeit schwer, indem sie Billigpreise anbieten und dadurch die Zahlungsmoral untergraben. Diese Zimmerpreisrabatte hat Direktor Peters nicht mitgemacht, das hat sich am Ende gerechnet.
Die Gäste waren in der Vergangenheit zufriedener. Heute ist die Übersättigung ein schlechter Koch. Nichts ist mehr gut genug.
Koch und Kellner
Es ist schon fast eine Binsenweisheit, aber dennoch ein wenig traurig und wahr: Das Servicepersonal, mein Berufsstand, ist immer nachteilig behandelt worden. Oft von den Gästen und meist auch intern, von den eigenen Mitarbeitern. Vor allem Kellner und Koch, Schwarz und Weiß, hatten immer Probleme miteinander. Das hat sich in der
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