Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
eingeladen. Alles Hamburger Kaufleute.« Sie hebt die Hand und zeigt gegen die Decke, um anzudeuten, dass es sich um Gäste aus der feinen Hamburger Gesellschaft handelt. »Für diese Freunde möchte ich gerne ein Essen geben.« Sie breitet die Arme aus und zeigt auf die Tische im Fensterbereich. »Hier in diesem wunderschönen Raum, mit dem herrlichen Blick auf die Binnenalster.« Es sollte ein gutes, aber nicht zu festliches Dinner sein, schließlich war es ein Wochentag. »Bitte, schlagen Sie mir etwas vor, was die Hamburger gerne essen.« Da ihre Mutter Hamburgerin war, fühlt sie sich mit der Stadt sehr verbunden.
»Oh«, schloss sie an, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Ich bin Christel de la Rue und mein Mann ist Baron David Liddell-Grainger, wir wohnen in Schottland.«
Wir einigten uns auf eine nationaltypische Vorspeise, danach etwas Fisch und zum Abschluss die Hamburger rote Grütze mit Vanillesauce. Der Aperitif sollte in unserer schönen Wohnhalle serviert werden. Auch da sollte nicht übertrieben werden. Als ich Champagner vorschlug, meinte sie: »Wäre es nicht besser, einen guten deutschen Sekt anzubieten?« Ich glaube nicht, dass die Frage aus Sparsamkeit gestellt wurde. Eher aus Furcht, die Gäste könnten denken, sie wolle protzen.
Alles wurde gemacht und serviert wie besprochen. Nach dem Dinner fragte ich die Lady, ob denn alles zu ihrer Zufriedenheit gewesen sei. »Oh ja«, antwortete sie begeistert. »Es war genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, ein kleines, aber feines Essen.« Dann sagte sie noch: »Herr Ober, wir haben in Schottland ein wunderschönes Schloss, das Ayton Castle, aber wissen Sie, was uns fehlt?« Sie machte eine kleine Pause, schaute mich an und verkündete: »Es fehlt uns ein Herr Nährig.« Daraufhin erkundigte sie sich, ob ich nicht Lust hätte, einige Zeit zu ihr zu kommen und eine Stelle als Butler anzunehmen. »Es ehrt mich sehr, dass Sie mich das fragen, Mylady«, erwiderte ich, »aber ich möchte mir das gerne eine kleine Weile überlegen.« Damit war sie einverstanden. Am nächsten Morgen reisten die Gäste wieder ab.
Etwa vier Wochen später, es ist Mitte Juni, kommt ein Telefonanruf aus Ayton Castle im Südosten Schottlands, und Lady Christine, genannt Christel, ist am Apparat. »Herr Nährig«, höre ich ihre Stimme, »wir erwarten in drei Wochen wichtige Gäste aus Amerika, hätten Sie nicht Zeit und Lust für zwei Wochen zu uns zu kommen? Wir könnten Sie so gut brauchen.« Da es sich offenbar um ganz exquisite Gäste handelte, wollte sie einen optimalen Service haben, und sie fand, dass ich der richtige Mann dafür sei. Nach kurzer Rücksprache mit dem damaligen Direktor des Vier Jahreszeiten konnte ich der Lady zusagen.
Am Flughafen von Edinburgh angekommen, werde ich mit dem Auto abgeholt. Zirka eine Stunde Fahrt bis Ayton Castle. Mein Gott, vor mir steht ein prachtvolles Schloss. Wahrlich ein Märchenschloss. Schottische Neugotik. Zwei große Hallen gleich hinter dem Eingang. Mit antiken englischen Möbeln eingerichtet. In der linken Halle ein langer Tisch mit vielen Stühlen für den Afternoon Tea. (Gelegentlich fragen mich Leute: »Wo nehmen wir den Tee ein?«, dann antworte ich immer: »Einnehmen tut man Pillen und Medizin, Tee trinkt man.«)
Überall Gemälde der Ahnen und Urahnen. Etwa vierzehn Schlafzimmer. Jedes individuell eingerichtet. Bettwäsche und Gardinen jeweils aus dem gleichen Stoff geschneidert. Am schönsten fand ich die in den Erkern und Türmchen untergebrachten Räumlichkeiten. Treppauf, treppab. Die Badezimmer meist riesengroß, in der Mitte thronte eine Emailbadewanne auf hohen Metallfüßen. Aus den Wasserhähnen floss das warme Wasser nur in dünnem Strahl oder gar tropfenweise. Es war Geduld vonnöten. Mein Zimmer eine Dienstbotenkammer mit Gründerzeitmöbeln, ausgestattet mit Stahlrohrbett und Waschtisch samt Waschschüssel und Wasserkrug. Dazu ebenfalls ein großes Badezimmer mit »Tropfwasserhahn«.
Das Personal musste früh aus den Federn: tägliche Tagwache morgens um sechs. Als Erstes in allen Zimmern und Hallen die Fensterläden aus sieben Zentimeter dicken Eichenbrettern aufmachen. Anschließend die zwanzig Zentimeter dicken Türen aufschließen und öffnen, was mit Poltern und knarrendem Lärm verbunden war. Eine Alarmanlage ist bei solchen Fenstern und Türen überflüssig. Aufbrechen wäre nur mit lautstarker Brachialgewalt möglich.
Frühstück vorbereiten. Tische decken. Frühstücksbüfett
Weitere Kostenlose Bücher