Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Sperberblick Jahre voraus in die Zukunft blicken, sah die kommenden leeren Kassen, spürte die dräuende Finanzkrise. Leider hat er recht behalten.
Ein ehrbarer Kaufmann
Silvester 1979. Im Saal der Hamburger Handelskammer findet wie alljährlich die Jahresschlussversammlung der »Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e. V.« statt. Bei diesem Anlass dürften etwa 1600 Gäste zugegen sein. Der Präses der Handelskammer hält in Anwesenheit des Ersten Bürgermeisters, der immer in der ersten Reihe sitzt, eine Rede, die es in sich hat. Die Mitglieder des Senats bekommen zu hören, was Unternehmer, Handels- und Kaufleute für gut oder schlecht befinden. Nachdem man sich gegenseitig deutlich die Meinung gesagt hat, gehen sie gemeinsam essen. Der Bürgermeister begibt sich mit dem Präses sowie kleinem Gefolge ins Hotel Vier Jahreszeiten. Die Tische werden zu diesem Anlass meist schon über Generationen in Anspruch genommen. Kurz vor 14 Uhr ist die große Rede in der Handelskammer zu Ende und eine Viertelstunde später ist der Grill voll besetzt. Kein Stuhl mehr frei. Die Ehefrauen der Herren nehmen an der Veranstaltung oftmals nicht teil und erwarten ihre Männer schon im Hotel. Alle Gäste in Festtagstracht. Die Silvesterlaune tut das Ihre.
Willy Bruns, ein großer Hamburger Reeder und Fruchtimporteur, sowie ein gut befreundeter Geschäftspartner betreten den Jahreszeiten-Grill. Beide waren nicht unter den Zuhörern in der Handelskammer; sie haben sich nur so zum Mittagessen verabredet, um am letzten Tag im Jahr noch einmal gemeinsam das vergangene Revue passieren zu lassen. Als sie den voll besetzten Grill bemerken, fragen sie mich: »Wer sind denn die vielen Leute?« Worauf ich antworte: »Das sind alles ehrbare Hamburger Kaufleute.« Die beiden Herren schauen sich an, leicht kopfschüttelnd, worauf der Geschäftsfreund in lautem Tonfall sagt: »Du, Willy, da sitzen mindestens dreihundert Jahre Knast.«
Ich habe mich, wie so oft im meinem Leben, wieder einmal fremdgeschämt. So viel zum feinen, ehrbaren Hamburger Kaufmann.
Eine Gourmetszene
Ein strahlender Frühlingstag im Jahre 2001. Der Dom Perignon am Ecktisch unter dem im Biedermeierstil nachgemalten Rembrandt-Bild ist schon kaltgestellt. Jürgen Engler, der mittelgroße, etwa fünfundsechzigjährige Gastgeber, braune, gesunde Gesichtsfarbe, fülliges, »spätblondes« Haar, das von der Schädelmitte aus in alle Richtungen sprießt und den Eindruck erweckt, er hätte eine Mütze auf, erwartet seinen Gast jeden Augenblick. Auf meine Frage: »Wann kommt Ihr Gast, wie lange müssen Sie noch warten?«, antwortet er mit leicht erhobenem Zeigefinger: »Nicht wie lange, sondern auf wen man wartet, ist entscheidend.«
Wie recht er hat. Eine Erwachsenenweisheit, um nicht zu sagen eine Altersweisheit.
»Ah, da kommt er schon!«, ruft er erfreut. Der solcherart »Er-wartete« ist ein in Amerika lebender Rheinländer. Rheinische Frohnatur. Das Begrüßungszeremoniell ist seit vielen Jahren das gleiche, wer immer der Gast ist: lachende Augen, eine kurze Höflichkeitsfrage ob der Anreise und gleich ein Glas kalter Champagner. Wie der Gast die Flasche erblickt, sagt er ehrfurchtsvoll: »Das ist aber ein sehr guter Trunk.« Worauf Jürgen Engler, frei nach Oscar Wilde, erwidert: »Ich habe einen sehr einfachen Geschmack: immer das Beste.«
Anschließend geht’s geschäftlich zur Sache, ans Eingemachte. Für 13 Uhr war das Mittagessen im Grill angesetzt. Ich werfe einen leicht ungeduldigen Blick aus der Ferne vom Grill-Eingang in die Hotelhalle, der Gastgeber erspäht mich, ruft mir leise zu: »Wir kommen in fünf Minuten.« Diese Szene wiederholt sich etwa drei- bis viermal. Schließlich habe ich es aufgegeben. Und bei alledem gehörte er auch noch zu jenen Gästen, für die immer »zufällig« ein Fenstertisch frei ist. Ich habe schnell gelernt: Nicht wie lange, sondern auf wen man wartet, ist im Leben entscheidend. Fürwahr.
Gute Weine sind vorbereitet, ein weißer und ein roter, beide aus Frankreich. Wie heißt es doch in der Bibel: »Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschaffen wurde?« (Jesus Sirach 31,27).
Endlich. Gemeinsamer Einmarsch. Die beiden schauen auf dem Weg zu ihrem Tisch nach links und rechts, was und wer da sitzt. Beinahe nur Herren. Ein kleiner Tisch mit vier Damen am Nebentisch entlockt Jürgen ein freudiges Zucken um die Mundwinkel, das sich beim zweiten Blick jedoch in ein unwilliges
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