Gerron - Lewinsky, C: Gerron
geworden, und jetzt versagte sie ganz.
«Ich meine, er lügt uns an», sagte der Junge. «Was meint ihr?»
Die andern meinten das auch.
«Mir scheint, er hat keinen Vater. So einen Namen wie Gerson gibt’s überhaupt nicht.»
«Außer bei Juden», sagte einer seiner Kumpel.
«Richtig», sagte der Anführer. «Das werden wir überprüfen müssen.»
Und dann zogen sie mir, mitten auf der Straße, die Hosen aus. Einer hielt mich fest, der zweite knöpfte mir sorgfältig die Hosenträger ab, und der Anführer schaute nach, ob ich tatsächlich Gerson heißen konnte. Er ging sogar in die Hocke, um es ganz genau zu sehen.
«Tatsächlich», sagte er dann. «Ein typischer Gerson.»
«Eher ein Gersönchen», sagte einer der anderen, und wieder grölten sie.
Dann hatten sie ihren Spaß gehabt und ließen mich stehen. Meine Hose und die Unterhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen.
Ließen mich einfach stehen. In Kriescht, Ortsteil Nesselkappe.
Sie bekamen ihre Strafe.
Papa hatte aus dem Fenster geschaut, im genau richtigen Moment, und jetzt kam er die Treppe heruntergerannt. Seine Schritte wie ein Gewitter, wie Hagel auf einem Dach. Er riss die Tür auf, doch die drei waren nicht mehr da.
Er kniete bei mir nieder, und obwohl er doch immer so großen Wert auf sein Äußeres legte, war es ihm völlig egal, dass der Boden nass war und ihm die Hosen verdreckte. Er nahm mich in die Arme, der vertraute Vatergeruch hüllte mich ein, und dann war ich wieder angezogen, und er sagte: «Wenn du jetzt weinen willst, ist das in Ordnung.»
Aber ich wollte nicht weinen. Ich war tapfer.
«Gleich gehen wir zur Polizei», sagte Papa. «Aber vorher will ich sehen, wie gut du dieses Spiel gelernt hast.»
Ich hüpfte ihm den ganzen Parcours vor, ohne einen einzigen Fehler, mit geschlossenen Augen.
«Ich bin stolz auf dich», sagte er.
Über dem Eingang der Polizeistation breitete ein großer Adler seine Schwingen aus. Drinnen erwartete uns ein Gendarm mit einem mächtigen Schnurrbart, den Tschako auf dem Kopf. Er salutierte vor Papa, und ich musste erzählen, was alles passiert war, und wie die drei Jungen ausgesehen hatten. Ich machte das sehr gut. Ich beschrieb den Pullover, den ich die ganze Zeit angestarrt hatte, welche Farbe er gehabt habe, dass da unter dem Arm eine zerrissene Stelle gewesen sei und dass er ganz ähnlich gerochen habe, wie der alte Sessel, der oben in der Wohnung immer noch zum Verkauf stand.
«Das ist ja ambartschig», sagte der Gendarm und schrieb alles auf. Er lobte mich, weil ich mir die Sachen so gut gemerkt hatte. Alsich mit meinem Bericht zu Ende war, zwirbelte er die Enden seines Schnurrbarts in die Höhe und sagte: «Das werden wir gleich haben, Herr Gerson.» Dann ging er hinaus. Die Sporen an seinen Stiefeln schepperten bei jedem Schritt, und der Säbel, der zu seiner Uniform gehörte, schwang hin und her.
Die drei waren bekannte Missetäter, und er wusste, wo er sie zu suchen hatte. Den Anführer packte er am Ohr, und der begann sofort zu weinen, so jämmerlich, dass man ihn nur verachten konnte. Der Rotz lief ihm aus der Nase, er hatte kein Taschentuch bei sich und wischte sich alles mit dem Ärmel ab, was bei uns zu Hause als das Schlimmste vom Schlimmen galt. Der Gendarm zog ihn hinter sich her. Die beiden anderen kamen ohne Bewachung mit. Nur die Hände hatte man ihnen auf den Rücken gebunden.
«Sind sie das?», fragte mich der Gendarm. Sie hatten große Angst und hätten mir alles gegeben, wenn ich sie nur nicht verriet. Aber ich war erbarmungslos und sagte: «Ja, das sind sie.»
Dann gab es eine Gerichtsverhandlung. Der Richter saß auf einem hohen Stuhl und hatte einen Hammer, mit dem er immer wieder auf den Tisch schlug. Ich sagte als Zeuge aus, die Hand zum Schwur erhoben, und dann wurden die drei verurteilt. «Kerker», sagte der Richter, und es nutzte ihnen nichts, dass sie auf die Knie fielen und um Gnade bettelten. Nur ich hätte ihnen die gewähren können, aber ich dachte nicht daran. Mit unbewegtem Gesicht sah ich zu, wie man sie in Ketten legte und abführte. Papa klopfte mir auf die Schulter und sagte: «Das hast du gut gemacht.»
Dann gingen wir in die Wohnung zurück. Die Leute, die etwas kaufen wollten, waren jetzt sehr viel höflicher. Wenn es einer nicht war, schwenkte ich meinen Säbel – den hatte mir der Gendarm geschenkt –, und dann knickte der Mann vor Angst zusammen und zahlte ohne zu feilschen jeden Preis, den Papa für ein Möbelstück
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