Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Wir sind die sieben Zwerge und schaffen tief im Berge. Man vergisst schnell, dass es auch anders sein kann. Dass es eigentlich anders ist.
Man darf es nicht vergessen.
Nie.
Sneeuwwitje . Das letzte Mal, dass ich in einem Atelier stand. Weil mir L.C.B. aus lauter Menschenfreundlichkeit noch einmal einen Auftrag zuschanzte. Was ich da zu tun hatte, hätte jeder bessere Aufnahmeleiter gekonnt. Jeder schlechtere. Ein paar Zwergen den richtigen Einsatz geben, mehr wurde nicht verlangt. Egal, es war Arbeit.
Loet hatte die Lust am Filmemachen verloren. Merijntje hatte gute Kritiken bekommen, aber kein Geld gemacht. «Für nette Worte in einer Zeitung gibt mir niemand einen Gulden», sagte er. Überlegte schon, ob man aus der Filmstad nicht eine Fabrik machen könnte. Er hatte neue Projekte. Wollte sich ganz auf den Vertrieb konzentrieren. War deshalb mehr in Amerika als in Holland. Und ist dann einfach dortgeblieben, der Glückspilz, als in Europa die Falle zuschnappte.
Einen einzigen Film hatte ich vorher noch für ihn machen dürfen. Weil die Verträge bereits unterschrieben waren. Die holländische Fassung einer italienischen Produktion. Grimms Märchen in modern. Eins von diesen theoretischen Projekten, die auf dem Papier überzeugend aussehen und auf der Leinwand beschissen. Vielleicht hätte man dem Publikum die Geschichte mit einem Haufen Reklame schmackhaft machen können, aber L.C.B. wollte kein Geld mehr dafür in die Hand nehmen. «Schade, dass es im Atelier nicht gebrannt hat», war sein Kommentar. «Dann hätte man wenigstens an der Versicherung etwas verdient.»
Ich bringe von dem Machwerk nicht einmal mehr die Handlung zusammen. Immerhin: Weil wir in Rom produzierten, weiß ich seither, wie man Spaghetti korrekt auf die Gabel dreht. Was mir hier in Theresienstadt natürlich ungeheuer nützlich ist.
Und dann wäre da natürlich noch dieser Auftrag von der KLM gewesen. Wäre gewesen. Ein Werbefilm, den man unbedingt von mir haben wollte. Gut bezahlt. «Wir sind ja so glücklich, dass wir Sie dafür gewinnen konnten.» Bis dann plötzlich alles ganz anders war. Sie wollten den Film nicht mehr haben. Nicht von mir. Weil ich ein Moff war, ein Deutscher, und die Flugzeuge der KLM alle nur Holländisch sprechen. Wenn man glaubte, was in den Zeitungenstand, wäre es schon fast Landesverrat gewesen, einem Ausländer diesen Auftrag anzuvertrauen.
Der Rummel wurde von denselben Leuten veranstaltet, die mich gerade noch als Retter der holländischen Filmindustrie in den Himmel gejubelt hatten. Aus dem weißen Ritter war der böse Fremdling geworden. Der den Einheimischen die Arbeit wegnahm. Exakt die gleiche Geschichte wie in Paris. Brotneid auf Patriotisch. Eifersucht in ein Fahnentuch gewickelt.
Wobei natürlich keiner schrieb: Ich habe meine letzten drei Filme versaut und mag deshalb Leute nicht, die von dem Beruf was verstehen. Das wäre ja ehrlich gewesen. Man argumentierte mit den hehren Werten des Vaterlands. Beschimpfte die Emigranten zur Melodie der Nationalhymne. Heuchelte eine Ehrenrunde lang Verständnis für die armen, aus ihrer Heimat vertriebenen Flüchtlinge, «einerseits», hieß es dann, «tun sie uns ja leid» – bevor man mit Schmackes zum großen ANDERERSEITS ansetzte. Die schwierigen Zeiten. Die wirtschaftlichen Probleme. Die vaterländische Kultur. Was sie wirklich meinten, steht bei Büchner. Dantons Tod . Der Lorre hat es als Saint-Just mit einem freundlichen Kindermörderlächeln gesagt. Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen Händen erwürgen.
Das haben sie ja dann auch geschafft.
«Du bist unfair», würde Olga sagen, «im großen Ganzen waren die Holländer doch nett zu uns.»
Natürlich bin ich unfair. Etwas muss man davon haben, wenn man in Theresienstadt eingesperrt ist. Es kann niemand mehr von mir verlangen, dass ich fair sein soll.
L.C.B. wollte dann noch eine Filmschule aufmachen, die ich leiten sollte. Aber er war nur mit halbem Herzen bei dem Projekt, und es ist nie etwas daraus geworden. Ich musste wieder den Haifischsong auspacken und damit durch die Provinzen tingeln. Mit dem Nelson und dem Rosen. Theater der Prominenten , welch schöner Name . Der ehemals Prominenten wäre passender gewesen. Theater der Rausgeschmissenen . Zum Glück war mein Holländisch schon ganz gut, so dass ich in beiden Sprachen Theater spielen konnte.Uninteressante Rollen in uninteressanten Stücken. Musste jedes Engagement annehmen, das man mir anbot. Wenn es
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