Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Wassenaar genannt. Mich, den kinderlosen dicken Gerron. Bonus ac diligens pater familias stand in unserem Lateinbuch . Der gute und gewissenhafte Vater.
Keine andere Rolle habe ich lieber gespielt.
Manchmal denke ich, dass es gar keinen Charakter gibt. Nur Rollen, die man sich ausgesucht hat oder zugewiesen bekommen. Die man so gut spielt, wie es eben geht. So wie Eppstein den großen Entscheider von Theresienstadt mimt, den Herrn über Leben und Tod. Es irgendwie schafft, seine Marionettenfäden nicht zu sehen. Oder wie Papa, der sich selber als Revoluzzer besetzt hatte und zusammenknickte, als sich der Part nicht länger durchhalten ließ. Mama war da konsequenter. Der Vorhang war schon längst gefallen, und sie spielte noch immer die höhere Tochter.
Nur bei Olga habe ich das Gefühl, dass sie nicht spielt, sondern einfach ist. Darum liebe ich sie so sehr.
Während der Dreharbeiten zu Merijntje habe ich den jovialen Papa gegeben. Der Vater: Kurt Gerron. Wo mich der Krieg für dieses Fach doch so endgültig ungeeignet gemacht hat wie den Gerstenberg für die Helden. Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich die Rolle spielen durfte.
Fast das einzige Mal. In der Schouwburg gab es den kleinen Louis. Aber das hat nur Tage gedauert.
Ich habe dick aufgetragen als Pappie. Wenn man fürs wirkliche Leben Kritiken kriegte, hätte in meiner dringestanden: Herr Gerron schmiert.
Ich habe um diese Jungen, den Marcel und den Kees, geworben wie ein Liebhaber um seine Angebetete. Der Produktionsleiter wollte eine Betreuerin für sie einstellen, aber ich habe das abgelehnt. «Ich werde mich selber um sie kümmern», habe ich gesagt. «Das wird es ihnen leichter machen, meinen Regieanweisungen zu folgen.»
Eine Prise Wahrheit war dran. Dass sie mich mochten und nicht in Ehrfurcht vor Mijnheer de Regisseur erstarrten, das hat die Arbeit vereinfacht. Der Sternberg hat die Marlene auch besser inszeniert, weil er in sie verknallt war. Auch deshalb ist der Film so gut geworden.
Aber mir ging es um etwas anderes. Ich wollte einmal im Leben Vater sein.
Ich war gut in der Rolle. Streng, aber gerecht. Manchmal auch großzügig. Wie ich es gemacht hätte, wenn Olga und ich …
Egal.
Einmal habe ich für sie die Dreharbeiten unterbrochen. Sie hatten Hunger und plünderten im Atelier die Überreste der großen Fressszene. Ich bin mit ihnen in die Kantine gegangen. Habe die ganze Mannschaft warten lassen, bis die beiden satt waren. Das war für die Buben der Höhepunkt der ganzen Filmerei.
Ich habe ihnen beim Mampfen zugesehen und war glücklich. Appetit ist so viel schöner als Hunger.
Einmal war da dieser Bauer, der wollte Geld dafür haben, dass wir auf seinem Land drehten. «In Ordnung», habe ich gesagt. «Hundert Gulden pro Tag.» Loets Buchhalter, der auf jeden Cent achtete, ist vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen. Ich habe dem Bauern versprochen, ihm das Geld am nächsten Drehtag in bar mitzubringen. Das war nicht direkt gelogen. Nur dass es an diesem Schauplatz keinen nächsten Drehtag mehr gab. Die Jungs waren eingeweiht und haben sich vor Lachen gekugelt. «Was ist mit den beiden los?», hat der Bauer gefragt, und ich habe gesagt: «Die üben für die nächste Szene.» Worauf sie sich schon gar nicht mehr einkriegen konnten.
Ich habe sie zum Lachen gebracht, wo ich nur konnte. Nicht immer auf höchstem Niveau. In Kolmar, bei den bunten Abenden im Krüppelheim, da haben sich die Leute auch immer am besten amüsiert, wenn es schweinisch wurde. Bei Kindern funktioniert das jedes Mal. Ich habe nicht einfach eine Pause angesagt, sondern ins Atelier gerufen: «Der Herr Regisseur geht sich jetzt die Blase umstülpen!» Der kleine Marcel fand das so komisch, dass er prompt dienächste Szene geschmissen hat. Das Lachen kam ihm immer wieder hoch.
Man kann auch aus Kinderliebe Kulissenreißer sein.
Wenn wir für den Tag abgedreht waren, hätten sie eigentlich todmüde sein müssen. Aber sie wollten nicht nach Hause gehen. Weil sie dort nicht halb soviel Spaß hatten. Da war ich sehr stolz drauf. Einmal sind wir zusammen ausgegangen, nur wir drei, wie es Großpapa damals mit mir gemacht hat. In ein Lokal, wo ein Zigeunergeiger von Tisch zu Tisch ging und den Leuten in die Suppe fiedelte. Das fanden die beiden unheimlich vornehm. Ich habe die Kellner bestochen, damit sie an den Tisch kamen und die Jungs um Autogramme baten. Der Kees hat das locker genommen, aber dem Marcel hat es gar nicht gepasst. «Wenn man immer beim
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