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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Aus denen jeder schon einmal Schreie gehört hat.
    Wir gingen nach links. Aber nicht zu Rahm. Noch eine Treppe höher.
    «Halt!» Er fasste um mich herum. Ein bisschen ängstlich, schien mir. Obwohl doch ich derjenige war, der Grund zum Fürchten hatte. Öffnete eine Tür. «Hinein!» Knipste das Licht an.
    Ein großer Raum. Menschenleer. Tische und Stühle.
    «Los, los», sagte er. «Du hast zehn Minuten Zeit. Dann wird hier zum Frühstück gedeckt.»
     
    Das Kasino der SS-Leute. Wieso hatte man mich hierher gebracht? Warum um diese Zeit?
    Man munkelt in Theresienstadt von wilden Festen, die hier gefeiert werden. Die Häftlingsfrauen, die sie sich zur Bedienung holen, müssen ihre Judensterne abnehmen. Ich kann mir in einer solchen Umgebung keine Orgien vorstellen. Höchstens das rituelle Besäufnis einer schlagenden Verbindung.
    Keine schlechte Bezeichnung für die SS. Schlagende Verbindung.
    Ein prosaischer Raum. Zwei lange und ein kurzer Tisch, U-förmig angeordnet. Die Stühle militärisch stramm in Reih und Glied. Ein Schrank, in dem man hinter Glas Teller und Tassen sehen konnte.Wie in einer billigen Pension. Die Kantine der Ufa sieht einladender aus.
    Von der Tür aus gesehen, wo ich immer noch stand, war links eine Fensterfront, auf den Marktplatz hin. Marktplatz . Noch so ein Märchenname. Als ob es hier einen Markt gäbe und etwas zu kaufen. Die Wand rechts voller Wimpel und Wappenschilder. Ein paar davon sehr kunstvoll gemalt. In Theresienstadt rettet sich jeder, wie er kann. Wer Filme drehen kann, dreht Filme. Wer malen kann, übt sich in phantasievoller Heraldik. Die Herren Totschläger sehen sich gern als heldische Ritter.
    In den Ecken Ständer mit Fahnen. Und geradeaus, hinter dem Tisch …
    Die Fotos natürlich. Die obligaten Heiligenbilder. Links Hitler, rechts Himmler. Die Porträts gleich groß, was nicht üblich ist. Hier ließ es jemand an der gebührenden Unterwürfigkeit fehlen. Die bekannten Fotos, mit denen sie sich für die Geschichtsbücher bewerben. Hitler dräuend. Das Wort muss für ihn erfunden worden sein. Himmler mit den runden Brillengläsern und dem Studienratsblick. Weshalb er sich wohl die Schläfen so lächerlich hoch ausrasieren lässt? Ein anständiger Maskenbildner müsste ihm das ausreden. Wenn er es wagen würde.
    Die beiden Weltbeherrscher hängen nicht direkt nebeneinander. Mein Kopf gönnt sich den folgenlosen Triumph einer Pointe und denkt: Wenn es eine Gerechtigkeit gäbe in dieser Welt, müssten sie schon längst nebeneinander hängen. Den Ehrenplatz in der Mitte nimmt ein Gemälde ein. Das sorgfältig gemalte Panorama eines romantischen Städtchens in grüner Landschaft. Mehr als zwei Meter breit.
    Ohne das Spruchband mit dem Namen hätte ich das Motiv nicht erkannt.
    Theresienstadt.
    Der SS-Mann zeigte auf das Bild. «Das sollst du dir ansehen. Ich weiß nicht warum, aber es ist so befohlen.»
    Zuerst verstand ich nur Bahnhof. Wieso sollte ich mir ein Bild ansehen? Bis ich dann die Logik begriff. Die absurde, lächerliche Logik.In meinem Konzept für den Film hatte gestanden: …wäre es wichtig, dass der Regisseur die Möglichkeit bekommt, außerhalb der Mauern attraktive Drehorte zu rekognoszieren. Rahm muss das gelesen haben, es hat ihm eingeleuchtet, und er hat einen Befehl erteilt. Ohne weitere Erklärung. Ein Lagerkommandant muss nichts erklären. Der Befehl ist weitergegeben worden, von Dienststelle zu Dienststelle, jeder hat ihn ein bisschen verändert und interpretiert, und am Schluss ist das dabei herausgekommen. «Der Jud soll sich Theresienstadt von außen ansehen? Da gibt es doch das Bild, das wir uns von diesem Häftling haben malen lassen. Das muss reichen.» Wie Otto damals in Kolmar sagte: «Auf dem Dienstweg ist man immer auf dem Holzweg.»
    Auf diesem Kasinogemälde sollte ich nun also Drehorte finden. Und auf Zigarettenbildern kann man Völkerkunde studieren.
    Manche Leute fallen in Ohnmacht, wenn ihre Nerven überreizt sind. Manche fangen an zu weinen. In mir stieg ein Gelächter auf wie eine plötzliche Übelkeit. War schon draußen, bevor ich es verschlucken konnte. Wurde immer heftiger, je mehr ich mich dagegen wehrte. Das Ganze war so meschugge. Dafür hatte er mich nachts aus dem Bett geholt. Dafür hatte er Olga und mir diesen tödlichen Schrecken eingejagt. Für ein Bild in einem Frühstücksraum.
    Man lacht nicht, wenn eine schwarze Uniform vor einem steht. Man gibt damit ein lebensgefährliches Stichwort. «Du lachst?», wäre sein

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